Gedemütigter Rebell: Vettel mimt den tapferen Wasserträger

, 20.04.2014

Kontroverse um Red Bulls Stallorder: Was wusste Vettel über die Strategie, als er sich erst weigerte, für Ricciardo Platz zu machen? Horner und Marko verteidigen ihn

Mit Mark Webber hatte Sebastian Vettel in den vergangenen Jahren spätestens nach dem Rennstart wenig Mühe. Mit Daniel Ricciardo jedoch verfügt der Champion in der Saison 2014 über einen deutlich aufmüpfigeren und schnelleren Teamkollegen, dem er sogar die Vorfahrt lassen muss - wenn auch eher unfreiwillig, wie der China-Grand-Prix am Sonntag in Schanghai unter Beweis stellte. "Dass einem das nicht so gefällt, ist klar, aber ich ordne mich da dem Team unter", erklärt Vettel 'Sky'.

Was war passiert? In Runde 25 läuft Ricciardo, der am Start Positionen eingebüßt hatte, auf Vettel auf. Vom Kommandostand kommt die Anweisung an den Heppenheimer, den Australier passieren zu lassen. Vettel hat offenbar zunächst nicht vor, sich kampflos zu ergeben und fragt sofort beim Renningenieur nach: "Auf welchen Reifen ist er?" Der antwortet: "Medium, aber drei Runden frischer als deine." Vettel, zu diesem Zeitpunkt ebenfalls auf dieser Mischung, stellt sich stur: "Dann Pech gehabt!"

Beim ersten Angriff Ricciardo bietet er noch Paroli, danach geht er aufreizend deutlich vom Gas. Vettel betont nach dem Rennen, nicht den Rebell gespielt zu haben: "Ich habe es in dem Moment nicht verstanden", erklärt der 26-Jährige. "Soweit waren wir uns klar: Wenn jemand zu dem Zeitpunkt auf einer anderen Strategie ist oder auf anderen Reifen, dass man dann versucht, sich zu helfen." In der Tat sprachen die Pneus nicht gegen Vettel. Dass Red Bull in Sachen Taktik umdisponieren wollte, wusste er nicht.

Chaos in Sachen Strategie

"Als dann der Spruch kam, dass er auf zwei Stopps ist, wir noch auf drei, als wir dann einsehen mussten, dass wir ziemlich langsam waren, haben wir dann getauscht", so Vettel weiter. Denn erst später wurde der Deutsche über die strategische Neuausrichtung informiert. Weil sich keine Lücke hinter ihm ergeben hatte, befand es Red Bull für sinnlos, zwei Stints auf den schnelleren Option-Reifen zu fahren, weil Verkehr gedroht hätte und Autos mit Mercedes-Motor zu überholen gewesen wären.

Für Red Bull laut Helmut Marko aufgrund des mangelnden Top-Speeds in China fast ein Ding der Unmöglichkeit. "Die Entscheidung kam zum richtigen Zeitpunkt", ist sich der Motorsportberater im Gespräch mit 'Sky' sicher. "Wir wollten auch nicht unsere Strategie bekanntgeben." Marko macht Vettel keinen Vorwurf, obwohl der im Funk die nötigen Informationen erhalten hatte: "Er wusste auch nicht, dass Daniel Reifen hatte, die weniger Kilometer und damit bessere Haftung hatten. Er dachte, er fährt gegen ihn Rennen."

Laut dem Österreicher war Vettel mit der Entscheidung, den dritten Stopp zu streichen, trotzdem nicht glücklich. "Als Fahrer aus dem Cockpit sieht man nicht so viel, was das Rennen angeht - wer auf welcher Strategie ist und so weiter", erläutert Vettel. Marc Surer kann sich hingegen nicht vorstellen, dass ein Pilot nicht weiß, wie oft er die Box ansteuern soll. "Seine eigene Taktik hat er sicher gekannt. Die verheimlicht man ja nicht vor dem eigenen Fahrer, das gibt es nicht", wundert sich der 'Sky'-Experte.

Ricciardo: Hat Vettel nur einen Fahrfehler begangen?

Surer hält eine Teamorder in dieser Situation für angemessen und glaubt, dass der störrische Vettel das Team sogar um ein Podium gebracht hat: "Ich finde, Red Bull hätte vorher sagen müssen: 'Lass ihn vorbei, er ist schneller.' Denn wenn er ihn kampflos vorbeigelassen hätte, dann hätte er am Schluss noch Alonso gekriegt." Ricciardo sieht die Sache bei 'Sky Sports F1' weniger kritisch: "Ich kam nach einer Runde vorbei, also war es nicht so schlimm." Allerdings rätselt der Neuzugang unsicher, ob Vettel einen Fahrfehler begangen oder Platz gemacht hat: "Ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher."

Teamchef Christian Horner räumt zwar ein, dass Vettel derzeit nicht so viel aus dem Auto herausholt wie Ricciardo, nimmt den Star der Mannschaft bei 'RTL' aber für sein Handeln in Schutz: "Er ist ein Rennfahrer, er will kämpfen, er will siegen. Er will um die WM fahren, nicht um ein paar Punkte." Für den Briten hat Vettel sogar seine Cleverness demonstriert: "Er hat sich als Teamplayer erwiesen und das Richtige gemacht." Es war nicht die einzige Kontroverse, die sich in Schanghai um Vettel drehte.

Rückblende: Als Caterham-Pilot Kamui Kobayashi ihn in Runde 35 mit seinem unterlegenen Auto, aber mit weichen Pneus auf den Achsen überholt, flucht Vettel im Funk: "Soll das ein Witz sein? Ganz ehrlich! Sagt ihm, dass er Platz machen soll! Neue Reifen, natürlich ist er schneller! Zwei Runden und dann steht er wieder im Weg." Wie dick Vettels Hals auf dem Rückflug nach Europa noch ist, bleibt ein Geheimnis. Auf Stunk mit Ricciardo muss er sich aber nicht einrichten. "Es wird nicht dazu führen, dass er nicht mehr mit mir spricht. Ich bin mir sicher, dass wir uns weiterhin unterhalten werden", sagt der Dauerlächler aus Down Under.

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