Autódromo de Terramar: Spaniens vergessene Steilwand-Arena

, 18.04.2016


Beim Anblick der Steilkurve verschlägt es mir den Atem: links die schroffe, von Gebüsch überwucherte Felswand, rechts die riesige, fast senkrecht in den Himmel ragende Betonwand - unglaubliche 60 bis 90 Grad steil. Ein Hochlaufen bis zur oberen Kante: unmöglich. Das ist die historische, fast 100 Jahre alte Rennstrecke von Sitges-Terramar südlich von Barcelona, auf der 1956 das letzte Rennen stattfand, danach sich selbst überlassen wurde und heute eine morbide Faszination ausstrahlt. Genau hier soll ich mit dem neuen Seat Leon Cupra 290 die alte Steilwand-Arena bezwingen.

Schaurig-schön: Die Faszination einer toten Rennstrecke

 

Erbaut in nur 300 Tagen aus 350.000 Tonnen Beton, feierte der Autódromo de Sitges-Terramar im Beisein von König Alfonso XIII. am 28. Oktober 1923 mit dem Großen Preis von Spanien seine Eröffnung. Nach Brooklands in Großbritannien (1907), dem Indianapolis Motor Speedway in den USA (1909) und dem Autodromo Nazionale Monza in Italien (1922) handelte es sich bei Terramar mit seinen zwei Steilkurven um die vierte permanente Rennstrecke der Welt.

Allerdings wurden 1923 die Preisgelder des Grand Prix von Spanien gepfändet, da die Betreiber der Rennstrecke die Rechnungen der Bauunternehmen nicht bezahlen konnten. Die Folge: die Verbannung von internationalen Rennen und fortan ständig finanzielle Probleme. Dazu kamen zu jener Zeit die Entfernung zu Barcelona und die beschwerliche Anreise über Schotterpisten. 1956 fand in Terramar das letzte Rennen statt - und die Rennstrecke wurde der Natur überlassen. Das ist jetzt genau 60 Jahre her.

Der heutige Anblick ist faszinierend: Die in der Hügellandschaft von Sitges versteckte Rennstrecke weist eine Länge von zwei Kilometern auf, während Gräser zwischen den Betonplatten wachsen und Äste von Bäumen sich oben hingebungsvoll in die extremen Steilkurven senken. In der Mitte des Highspeed-Ovals stehen alte Boxengebäude und eine Farm. Die große Zuschauertribüne strahlt noch immer ihre Erhabenheit aus, während eine zweite, nie fertiggestellte Tribüne von Gras überwuchert ist. Wer all das auf sich wirken lässt, spürt die historische Spannung in der Luft.

Durch die Betonbauweise befindet sich die imposante Steilwand-Arena mit einer Fahrbahnbreite zwischen 18 und 22 Metern bis heute in einem verhältnismäßig guten Zustand und ist damit weltweit das einzige historische Highspeed-Oval, das seit der Eröffnung noch unverändert intakt ist und sich komplett befahren lässt.

Dennoch: Schlaglöcher, tückische Unebenheiten und brüchiger Beton bestimmen insbesondere die Oberfläche der Geraden. Um diese Rennstrecke mit seinen gewaltigen, enorm überhöhten Steilkurven kennenzulernen, erfolgt die Streckenbegehung mit keinem Geringeren als dem spanischen Rennfahrer Jordi Gené.

Das Arbeitsgerät: Der stärkste Serienmotor, der je in einem Seat verbaut wurde

 

Mein Arbeitsgerät für die Herausforderung ist der neue Seat Leon Cupra 290 - kein Serien-Seat war bislang stärker als dieser: Das 2,0 Liter große Vierzylinder-Triebwerk generiert 290 PS bei 5.600 bis 6.500 U/min. Dazu kommt ein maximales Drehmoment von 350 Nm, das über ein breiteres Drehzahlband zwischen 1.700 und 5.800 Touren anliegt. Derart ausgerüstet, spurtet der frontangetriebene Seat Leon Cupra 290 in Kombination mit der bei unserem Testwagen verbauten 6-Gang-Handschaltung in nur 5,8 Sekunden von 0 auf 100 km/h und erzielt eine elektronisch begrenzte Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h.

Heute unvorstellbar: Diese Rennstrecke ging in die Extreme

 

Die erste Runde fahre ich direkt hinter Jordi Gené und sauge förmlich den historischen Grund auf. Der Anblick der Steilkurve ist gewaltig, wie sich diese wie eine riesige Betonwand in den blauen Himmel streckt. Ein Vergleich, wie extrem das ist: In Monza weisen die Kurven „nur“ eine Überhöhung von bis zu 38 Grad auf. Das klingt nach einer harmlosen Variante; denn in Terramar sind es 60 bis 90 Grad - und bei letzterem Wert so steil wie eine senkrecht hochgezogene Hauswand. Großen Respekt flößen dazu die immense Höhe der Kurven und der enge Radius von nur 100 Metern ein.

Doch davon lässt sich der Seat Leon Cupra 290 nicht beeindrucken, der sich als heiße Kampfmaschine entpuppt. Der Turbo-Benziner reagiert spontan auf jede Bewegung des Gaspedals und begeistert durch seine leichtfüßige Drehfreude. Bereits im niedrigen Drehzahlbereich ist die Gasannahme exzellent. Doch wer das Gaspedal voll durchdrückt, erlebt eine lineare Kraftentfaltung, die von 4.000 bis 7.000 Touren besonders schonungslos zuschlägt. Der holprigen Oberfläche der Steilkurven setzt der Seat Leon Cupra 290 eine adaptive Fahrwerksregelung entgegen, die das Fahrwerk binnen Millisekunden den aktuellen Bedingungen anpasst.

Keine Leitplanken: Plötzlich steht die Welt quer

 

Am Anfang noch in der Mitte der Kurve, will ich es wissen und fahre in der Steilkurve nach oben an den Rand. Die Welt steht quer. Dort, wo man nicht mehr stehen kann und keine Leitplanken einen Abflug in den Himmel verhindern. Das Gefühl ist unbeschreiblich, wie ich von den Fliehkräften in den Sitz des Seat Leon Cupra 290 gepresst werde, während das Triebwerk durch seine neu abgestimmte Abgasanlage den mitreißenden Soundtrack liefert und mich ebenso emotional mitreißt. Ein kurzer Blick auf den Tacho: Mit deutlich über 100 km/h fahren wir oben entlang. Die genaue Geschwindigkeit entzieht sich meiner Kenntnis, da ich mich lieber auf den Streckenverlauf konzentriere und den faszinierenden Ausblick aus der Windschutzscheibe genieße.

Geschwindigkeiten von über 200 km/h sind nicht erforderlich. Beim Auftaktrennen im Jahr 1923 fuhr der britische Graf Louis Zborowski mit einem Miller in einer Zeit von 45,8 Sekunden die schnellste Rennrunde und erzielte eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 156,9 km/h. Die Ziellinie überquerte beim Großen Preis von Spanien allerdings der Franzose Albert Divo im Dienste von Sunbeam als Erster. Der Grand Prix wurde damals über 200 Runden a zwei Kilometer ausgetragen, was einer Gesamtdistanz von 400 Kilometern entsprach.

Der Rundenrekord von Graf Louis Zborowski auf dem Autódromo de Sitges-Terramar blieb bis 2012 bestehen. Bei Testfahrten zu einem Videodreh erzielte die spanische Rennfahrer-Legende Carlos Sainz am 10. Mai 2012 mit einem Audi R8 LMS GT3 eine Zeit von 42,6 Sekunden beziehungsweise eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 170 km/h.

Ein echter Kick: Wonach sich Vettel, Rosberg & Co. sehnen könnten

 

Dieser faszinierende, versteckte Schauplatz eines damaligen Rennstrecken-Juwels schrieb Motorsport-Geschichte. Heute findet der Große Preis von Spanien nördlich von Barcelona auf dem sterilen Circuit de Barcelona-Catalunya statt. Vielleicht sehnen sich die gegenwärtigen Formel-1-Rennfahrer wie Nico Rosberg, Sebastian Vettel, Lewis Hamilton oder Kimi Räikkönen nach einer Steilkurve, die für einen echten Kick sorgt.

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