Hamilton: "Bin für mich gefahren, nicht für Nico"

, 27.07.2014

Lewis Hamilton und Nico Rosberg haben sich beim Ungarn-Grand-Prix nichts gegönnt: Erst kam es zum Duell über Funk, dann in der letzten Runde auch auf der Strecke

Nur ein Silberpfeil auf dem Podium von Ungarn - das ist die überraschende Erkenntnis nach einem spektakulären Rennen von Budapest. Und erstaunlicherweise ging dieser dritte Platz an Lewis Hamilton, der aus der Boxengasse gestartet war, und nicht an Pole-Setter Nico Rosberg. Beide Mercedes-Piloten waren auf verschiedenen Strategien unterwegs, sodass der Deutsche mit den schnelleren Soft-Reifen gegen Rennmitte auf seinen langsameren Teamkollegen auflief. Es folgte eine gereizte Funkdebatte.

Hamilton bekam von der Box mitgeteilt, er möge Rosberg doch vorbeilassen, damit beide Fahrer keine Zeit verlieren. Der Brite schaltete auf stur und entgegnete: "Ich lasse ihn nicht einfach vorbei. Wenn er nah genug rankommt, kann er mich überholen." Schließlich fuhr der Deutsche, der nicht am Teamkollegen vorbeikam, an die Box und startete eine Aufholjagd, die jedoch knapp hinter Hamilton endete. Unter dem Strich bleibt ein fader Beigeschmack im Duell der Silberpfeile.

Rosberg selbst gibt sich nach dem Rennen zurückhaltend: "Das muss man sich jetzt mal anschauen und teamintern diskutieren. Es bringt nichts, wenn ich dazu jetzt etwas sage", meint er gegenüber 'RTL'. Ein paar Worte lässt er sich dann aber doch entlocken: "Das ging nicht von mir aus. Das Team hat mich informiert, dass er mich vorbeilassen würde. Das war's", meint er bei 'Sky Sports F1'.

Viele Zuschauer wie auch Experten fragten sich, warum Rosberg denn trotz schnellerer Reifen nicht einfach angegriffen habe. "Meine Reifen waren ziemlich hinüber", erklärt der 29-Jährige gegenüber 'Sky': "Es waren zwar die Weichen, deshalb war ich schneller, aber zu dem Zeitpunkt war es nicht einfach. Und das gleiche Auto zu überholen, ist sowieso immer schwer."

Hamilton stolz auf seine Entscheidung

Hamilton sieht sich im Recht: "Natürlich war ich mir im Klaren, dass wir im selben Rennen fahren. Nur weil er einen Stopp weniger hatte, heißt das nicht, dass wir zwei unterschiedliche Rennen fahren" erklärt er gegenüber 'Autosport'. "Hätte ich ihn vorbeigelassen, wäre er davongezogen und hätte mich am Ende gekriegt. Ich war sehr, sehr schockiert, dass mich das Team darum gebeten hat. Er kam nicht nah genug heran, um zu überholen, also bleibe ich doch nicht stehen und verliere Zeit auf Ricciardo und Alonso. Das war schon seltsam..."

"Ich hätte Punkte an Nico verloren", stellt er gegenüber 'Sky Sports F1' klar. "Ich bin mir nicht sicher, wie genau die Situation war, aber ich will eigentlich auch gar nichts dazu sagen. Ich werde mit allen darüber sprechen und bin mir sicher, dass sie gute Gründe hatten. Aber ich hätte dadurch heute definitiv Punkte verloren, also fühlt es sich merkwürdig an. Doch ich bin glücklich, dass ich die richtige Entscheidung für mich selbst getroffen habe." Dass Hamilton Rosberg womöglich um den Sieg gebracht hat, ist ihm egal: "Darüber denke ich nicht nach. Letztendlich bin ich für mich selbst gefahren und nicht für ihn."

Mercedes-Teamchef Toto Wolff will die Sache noch nicht endgültig bewerten, spricht aber von einer "kniffligen" Situation. Zwar habe Rosberg Zeit hinter seinem Teamkollegen verloren, "aber sie kämpfen auch um die Weltmeisterschaft. Noch einmal: Das ist keine einfache Geschichte. Man muss das Für und Wider gegeneinander abwägen und schauen, was am Ende möglich gewesen wäre. Dann werden wir unsere Konsequenzen ziehen", erklärt er gegenüber 'Sky Sports F1'.

Wolff mit Verständnis

"In so einem chaotischen Rennen sind natürlich unheimlich viele Entscheidungen zu treffen", räumt Wolff bei 'Sky' ein. "Zu dem Zeitpunkt war Nico ein deutliches Stück schneller und hätte Alonso vielleicht einholen können. Dadurch hätte er dann wiederum Lewis helfen können. Aber das sieht natürlich der Lewis nicht. Dass er zu dem Zeitpunkt vielleicht nicht gewusst hat, dass er sich damit selbst hilft, das ist eine andere Sache."

Außerdem spiele auch die Kommunikation eine entscheidende Rolle in dieser Situation: "Das ist am Funk manchmal so eine Sache, das ist nicht immer ganz verständlich. Es war nicht gemeint, dass er ihn vorbeiwinkt, sondern, dass sie sich nicht bekämpfen und Zeit verlieren sollen. Und so war es dann: Nico hat an Pace verloren, und so hat sich die Sache automatisch gelöst", blickt Wolff zurück.

Ein Grund für Hamiltons Verhalten könnte dessen Frust über seine technischen Probleme innerhalb der letzten Wochen gewesen sein, glaubt sein Chef: "Ja, wahrscheinlich hat das eine Rolle gespielt. Der Lewis ist jetzt zweimal stehengeblieben wegen einem Auto, das nicht gehalten hat. Ein Auto, das wir ihm gegeben haben. Insofern muss man verstehen, dass er im Rennen dann vielleicht ein bisschen sauer ist und natürlich alles tun will, um das Resultat zu optimieren."

Teaminterne Konsequenzen für Hamilton?

'Sky'-Experte Marc Surer stärkt dem Champion von 2008 den Rücken: "Hamilton hat gesagt: 'Ich warte doch nicht auf ihn. Wenn er mich überholen will, kann er mich überholen'. Das heißt, er lässt ihn vorbei, wenn er daneben ist. Aber dass er vom Gas geht und wartet, bis Rosberg kommt, das muss er nicht machen. Da bin ich auf der Seite von Lewis Hamilton." Rosberg habe nicht direkt angegriffen, "sonst hätte Hamilton ihn sicherlich vorbeigelassen."

'RTL'-Fachmann Niki Lauda findet ebenfalls, dass Hamilton Rosberg nicht hätte vorbeilassen müssen: "Nein. Paddy Lowe hat sich dann zurückgehalten. Ich habe es genau beobachtet. Der Nico war nicht nahe genug dran, dass er mit DRS auf der Geraden vorfahren konnte. Dann hätte er ihn natürlich vorgelassen und etwas früher gebremst. So hat er sich gesagt, da verliere ich Zeit in meinem eigenen Rennen, und hat für sich entschieden. Ich finde die Entscheidung von Lewis richtig und normal."

Ob und welche Konsequenzen Hamilton nun teamintern drohen, bleibt abzuwarten. "Wir werden uns mit Lewis zusammensetzen und diskutieren, wie die Situation ist", erklärt Wolff. "Emotional bin ich bei ihm, weil das natürlich ein extrem frustrierender Funkspruch ist, bei all dem Pech, das er hatte. Auf der anderen Seite gibt es vielleicht Regeln, die wir im Team etabliert haben. Kann man die selbst außer Kraft setzen? Das ist eine andere Frage."

Hartes Manöver in der letzten Runde

In der letzten Runde kam es dann zum richtigen Duell der beiden Teamkollegen. Rosberg hatte mit riesigen Schritten aufgeholt und attackierte Hamilton in Kurve 2. Der Brite gab jedoch nicht nach und drängte den WM-Führenden leicht aufs Gras. Rosbergs einziger Gedanke in diesem Moment: "Scheiße. Ich wusste natürlich, es würde nicht einfach werden. Aber Lewis hat einen Fehler in Kurve 1 gemacht und mir dadurch eine kleine Chance eröffnet. Ich habe es auf der Außenbahn versucht, aber es hat nicht funktioniert."

Wolff hätte eigentlich damit gerechnet, dass Rosberg noch vorbeikommt und aufs Podium fährt: "Er hatte natürlich unheimlich frische Reifen, aber es ist auch klar, dass er den Lewis nicht angreifen wird, wie er das vielleicht mit einem anderen macht. Die beiden sind immer noch Teamkollegen, da willst du dir natürlich nicht ins Auto fahren." Fast wäre es jedoch genau dazu gekommen. "Das war schon ein hartes Manöver. Ich muss es mir erst noch mal anschauen, ich habe es nur einmal gesehen", so Wolff.

Surer findet hingegen, dass Hamiltons Verteidigung noch im Rahmen war: "Er war nicht ganz nett zu einem Teamkollegen, aber wir kennen die beiden ja von Bahrain. Da ging es auch richtig hart zur Sache. Man muss schon sagen: Keiner lässt den anderen in der letzten Runde vorbei. Das ist ein Rennfahrerinstinkt, den man einfach hat. Es war noch okay."

Auch in diesem Punkt ist Lauda auf der Seite des Briten: "Das war absolut okay. In Bahrain gab es ähnliche Situationen. Für mich ist es ein ganz normaler Kampf, der in anderen Phasen des Rennens auch bei anderen Piloten so war. Wer die Nase vorne hat, versucht, sich natürlich zu verteidigen. Das war nicht unfair, das war normales Rennfahren. Auch wenn sie kurz darüber reden werden, wird es sich schnell lösen. Das ist normaler Rennkampf." Beim nächsten Mal werde Rosberg es umgekehrt genauso machen, ist sich Lauda sicher.

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