Heftige Debatten: Die "Lex Mercedes" als Bumerang?

, 30.06.2014

Heftige Diskussionen hinter den Kulissen der DTM: Was darf Mercedes bis zur Homologation im September tun? Was passiert, wenn Benz zu schnell wird?

Um die nachträgliche Homologation des aktuellen Mercedes C-Klasse Coupés gab es am Norisring-Wochenende der DTM heftige Debatten. Wie sich in Nürnberg herausstellte, haben die Hersteller unterschiedliche Ansichten, was auf Grundlage der "Lex Mercedes" möglich sein soll. Mercedes und DMSB gehen davon aus, dass die Stuttgarter alle Freiheiten ausnutzen dürfen, die bis zu den Homologationsterminen im März (Aerodynamik) und Juni (Mechanik) für alle gegolten haben.

Diese Regelung würde beinhalten, dass Mercedes bis Ende September jederzeit mit Elementen der Mechanik spiele dürfte. Klartext: Es wäre sogar denkbar, dass man für alle Strecken spezifische Bauteile verwendet, die Vorteile versprechen. Ob dies sinnvoll ist, gilt allerdings als fraglich. Über die Kinematik lässt sich nur wenig des rund eine Sekunde großen Rückstands auf BMW und Audi aufholen. Die größere Potenzial liegt im Bereich Aerodynamik, die vor der Neuhomologation vor dem China-Rennen jedoch nicht in veränderter Form am Fahrzeug betrieben werden darf.

"Uns fehlt Abtrieb, das ist klar. Es liegt bei uns nicht an Topspeed, Fahrwerk oder Bremsperformance, sondern es fehlt schlichtweg Abtrieb in schnellen Kurven", schildert Mercedes-DTM-Leiter Wolfgang Schattling die Stärken und Schwächen des Autos. Diese Besonderheiten konnten zum starken Auftritt am Norisring führen, der insgesamt nur aus vier Kurven besteht. Die Aerodynamik ist auf dem Stadtkurs kein ganz so entscheidendes Kriterium - auch der Gewichtsunterschied nicht.

Entwicklungsspielraum: Klarstellung gefordert

"Das Auto ist identisch mit jenem aus Budapest - allerdings mit kleinen Modifikationen, was man halt verstellen darf", heißt es von Schattling. Bei dieser Aussage wurden die Konkurrenten hellhörig. Erst in jenem Moment wurde in Reihen von Audi und BMW deutlich, dass Mercedes erste Entwicklungsschritte an der Mechanik bereits umgesetzt haben könnte. "Das wäre nicht im Sinne des Erfinders", meint Audi-DTM-Leiter Dieter Gass. Man forderte eine Klarstellung, setzte sich auf höchster Ebene vor dem Rennen am Norisring kurzfristig noch einmal zusammen. Ein Ergebnis hat sich aber wohl nicht daraus ergeben.

"Es gibt noch ein paar Details zu klären, bezüglich der Abwicklung - also wie man es umsetzt. Es ist die Frage, wie Mercedes auf die spätere Gesamthomologation hinarbeitet", erklärt Gass. "Es liegt daran, wie es protokolliert wurde. Das muss man klären." Aus dem Lager von BMW verzichtete man ganz bewusst auf öffentliche Kommentare zu den Mercedes-Möglichkeiten. Klar ist jedoch, dass es auf der derzeitigen Grundlage mehr Entwicklungschancen für die Stuttgarter gibt als ursprünglich gedacht.

Mercedes wird die Entwicklung bis Ende September betreiben und erst auf den letzten Drücker homologieren. "Man darf nicht mit einem nicht homologierten Auto fahren. Sonst würde jeder basteln, was das Zeug hält. Dann hätten wir Formel-1-Verhältnisse", sagt Schattling, meint damit aber nur die Updates an der Aerodynamik, die erst im September zu sehen sein werden. Mercedes hat einen zusätzlichen Testtag zur Evaluierung der neuen Version zugestanden bekommen.

Und wenn Mercedes plötzlich dominiert?

"Man versucht möglichst spät zu homologieren, damit man seine gesamte Arbeit im Windkanal, per CFD und in Simulationen abgeschlossen hat. Man wird nie früher fertig. Dann wäre man doof", sagt Schattling. Nach Aussage des Mercedes-DTM-Renneiters arbeitet man mit begrenzten Mitteln. "Ich habe keinen Euro mehr bekommen", meint der Teamleiter der Stuttgarter. Mercedes-DTM-Partner HWA soll die zusätzlichen Kosten für weitere Entwicklungen an der C-Klasse auffangen.

"Mercedes muss schon noch arbeiten. Wir hätten es denen auch einfacher und deren Auto um 20 Kilogramm leichter machen können. Das haben wir bewusst nicht gemacht", erklärt Gass den grundsätzlichen Ansatz in der "Lex Mercedes". Der Audi-Rennleiter präzisiert: "Wenn Mercedes an Performance zulegen will, dann muss man das Geld in die Hand nehmen, das wir im Winter auch in die Hand genommen haben. Das ist eine faire Lösung."

Ob aus dem ungewöhnlichen Prozess zur Leistungsangleichung in der DTM ein faires Ergebnis im sportlichen Wettbewerb entstehen wird, ist völlig unklar. Es gibt gewisse Ängste in Reihen der Mercedes-Konkurrenz und im Lager der DTM-Kritiker. Was passiert, wenn die Benz-Updates zu gut einschlagen und die C-Klasse plötzlich deutlich vor dem Audi RS5 und dem BMW M4 fahren kann? Würde Mercedes diesen Vorteil sofort zeigen, oder erst zum Start in die Saison 2015, wo keine Entwicklungen mehr möglich sind?

"Es ist klar formuliert im Reglement, es ist keine Mercedes-Regel. In diesem Fall soll es Mercedes helfen, aber diese Möglichkeit gibt es auch für andere, falls es die betreffen sollte. Da muss man davon ausgehen, dass es ähnlich gehandhabt wird", sagt Gass. Die Konsequenz daraus könnte eine teure Entwicklungsspirale sein. Ein regelrechtes "Performance-Pingpong" würde die Suche nach Kostenreduktionen - und genau das hat die Homologation bis Ende 2015 zum Ziel - ad absurdum führen.

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