Scharade vor Saisonauftakt: Bitterer Ernst erst Down Under?

, 28.02.2016

Zuverlässigkeitstests, zu wenig Zeit und neue Teile, die auf sich warten lassen: Wieso Mercedes und Co. bei den Testfahrten nicht die Hosen runterlassen

Jedes Jahr macht während der Formel-1-Testfahrten ein Trendwort die Runde: "Sandbagging". Auf Deutsch bedeutet es frei übersetzt so viel wie "tiefstapeln", in der Szene verbindet man mit dem Ausdruck weit mehr als Understatement. Das vorsätzliche Verschleiern von Performance soll die Konkurrenz bezüglich der eigenen Leistungsfähigkeit im Dunkeln tappen lassen, ehe beim ersten Rennen der Saison der Gashahn aufgedreht wird. Zeigt sich die wahre Hackordnung also erst in Melbourne?

Williams-Technikchef Pat Symonds ist davon überzeugt: "Ich denke nicht, dass irgendjemand in dieser Woche bereits das echte Potenzial seines Autos zeigt", erklärt er im Nachgang der Testwoche in Barcelona. Seine Truppe setzte in Katalonien ähnlich wie Mercedes allen voran auf die härteren Pirelli-Mischungen, während Ferrari und Red Bull schon Ultrasoft zückten.

"Ehrlich gesagt war ich überrascht, dass am ersten Tag einige mit weichen Reifen gefahren sind", staunt Symonds über die Konkurrenz. Sogar Reifenzulieferer Pirelli hätte nach Aussage des Sportchefs Paul Hembery nicht damit gerechnet, dass die mutmaßlich auf eine Runde schnellste Mischung so früh ihr Streckendebüt feiert.

Apropos Ferrari: Der Hybrid im Heck der Roten ist ein Fall für sich. Offenbar sind bei Werks- und Kundenteams verschiedene Triebwerke im Einsatz, um mögliche Schwachstellen auszulosten. Auch beim US-amerikanischen Formel-1-Neuling Haas: "Wir haben nicht den Antrieb, der in Australien rennen wird. Das sind jetzt Testpakete, die sich etwas unterscheiden", erklärt Teamboss Gene Haas und lässt es offen, ob sich die genutzte Version auch in Sachen PS-Zahl oder der Drehzahlfreigabe unterscheidet.

Fakt ist: Viele Teams schrauben wichtige Updates erst im Albert Park an ihr Auto. Williams kommt mit einem neuen Frontflügel nach Down Under, Force India hat gleich ein ganzes Aeropaket im Gepäck und Mercedes-Star Nico Rosberg drohte unlängst mit einem "Ass im Ärmel" der Silberpfeile.

Dass schon für die zweite Barcelona-Woche aufgerüstet wird, ist unwahrscheinlich. "Ich denke, dass es in diesem Jahr etwas anders laufen wird", vergleicht Symonds mit 2015, als drei Vorbereitungstermine im Kalender standen. Er verweist auf den engen Zeitplan wenige Wochen vor Saisonbeginn und kommt zu dem Schluss: "Wir werden erst in Melbourne an einigen Autos neue Teile sehen."

Die Verkürzung der Testzeit bewerten die Formel-1-Piloten unterschiedlich. "Toll ist das nicht, aber die Teams mit großem Budget betrifft das eher", findet Force-India-Pilot Sergio Perez und hofft auf einen Vorteil für seine Vijay-Mallya-Truppe. Lewis Hamilton ist weniger angetan. "Als ich Ende 2006 und Anfang 2007 in die Formel 1 kam, hatten wir 15 bis 20 Testtage", murrt der Champion, dem die Zusammenstreichung auf acht Ausfahrten pro Team nicht passt. "Das bedeutet, dass ich nur vier Tage vor dem ersten Rennen bekomme. Das ist nicht gerade viel." Dann stehen auch noch Checks auf dem Programm.

Symonds nennt es den Schlüssel, bei den Planungen umzudisponieren. "Wir müssen bei den Tests einen etwas anderen Ansatz wählen", sagt der Williams-Technikchef. "Du musst Hausaufgaben erledigen und dafür sorgen, dass all deine Systeme richtig arbeiten, dass du zuverlässig bist. Ehrlich gesagt leidet die Arbeit an der Performance dadurch etwas." Sauber Pilot Felipe Nasr sieht die Situation ähnlich: "Wir werden nicht von Anfang an bei 100 Prozent sein, wir müssen das Auto erst verstehen. Möglicherweise werden wir eine Entwicklungsphase am Beginn der Saison sehen", so der Brasilianer.

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