ZF Advanced Urban Vehicle Test: Autoscooter und Panzer in einem

, 16.08.2015


Exklusiv konnte Speed Heads bereits jetzt eine Neuheit der IAA 2015 und die Zukunft des Lenkens testen: das ZF Advanced Urban Vehicle - und das bereitet mächtig Spaß. Fast wie auf der Kirmes im Autoscooter: Die Zulieferer von ZF verpassten einem Opel Agila als Forschungsfahrzeug eine neuartige Lenkung. Sage und schreibe 75 Grad Lenkeinschlag bringen mit dem 3,74 Meter-Zwerg einen Wendekreis von nur 6,50 Metern. Das ist rekordverdächtig! Mit dem Advanced Urban Vehicle ließe sich in einem Fußballtor (7,32 Meter Breite) ein U-Turn machen - und Manuel Neuer könnte dabei noch am Pfosten stehen und zuschauen.

Das Rangieren mit dem Advanced Urban Vehicle ist fast gespenstisch: Man lenkt ein, und es kommt einfach kein Anschlag. Das Konzeptfahrzeug rollt in einem immer engeren Radius dahin. Jetzt muss gleich Schluss sein, denkt der Autofahrer, der konventionelle Einschlagswinkel gewohnt ist. Doch es geht immer weiter, bis schließlich 75 Grad Einschlag von außen aussehen, als hätte jemand dem Stadtfloh die Vorderbeine gewaltsam umgedreht.

In Wirklichkeit sorgt eine von ZF entwickelte neue Kinematik dafür, dass sich die Vorderräder unglaublich weit einschlagen lassen. Die McPherson-Konstruktion mit Zusatzlenker bringt natürlich erhöhten Aufwand und braucht etwas mehr Platz. Der volle Einschlagwinkel ist auf niedriges Tempo begrenzt, die Software steuert dies. Somit sind, je nach Geschwindigkeit, unterschiedliche virtuelle Anschläge möglich.

Mit der neuartigen Lenkung geht das ZF Advanced Urban Vehicle so zackig ums Eck wie ein Autoscooter auf der Kirmes. Man hat beinahe das Gefühl, auf der Stelle wenden zu können. So sieht wohl die nahe Zukunft des Lenkens aus, um Einparkmanöver und 180-Grad-Kehren zu erleichtern. Die sind übrigens auf üblichen zweispurigen Straßen ohne jegliches Rangieren möglich.

Smart Parking Assist: Per Smartwatch in engste Parklücken

Um das Thema Einparken machte sich ZF mit dem „Smart Parking Assist“ weitere Gedanken. Der Fahrer drückt nur die richtige Fläche auf einem Tablet oder einer Smartwatch, schon scannt der futuristische Kleinstwagen im Vorbeirollen eine Parklücke und schlüpft im Radumdrehen wieselflink hinein - je 30 Zentimeter, also insgesamt 60 Zentimeter Platz vorne und hinten genügen, sonst sind bei Parkassistenten 80 Zentimeter üblich.

Der Kniff neben dem Lenkeinschlag: Wie ein Panzer treibt „Torque Vectoring“ die beiden Hinterräder ideal an. Ansonsten wäre das Manövrieren mit den extrem eingeschlagenen Vorderrädern kaum möglich. Da sich ein Rad nach vorne, das andere rückwärts bewegen kann, rangiert sich das ZF Advanced Urban Vehicle wie ein Panzer mit gegenläufigen Ketten so wendig wie möglich in enge Lücken hinein. Auf dieser Basis können Pkw künftig nicht nur mit dem Fahrer an Bord, sondern auch ferngesteuert etwa im Parkhaus einparken.

Harald Naunheimer, Leiter Forschung und Entwicklung von ZF, zu den weiteren Vorteilen: „Wenn Pkw in Zukunft fahrerlos einparken, lassen sich die Parkflächen effektiver nutzen. Denn die Tu?röffnungswinkel mu?ssten dann im Parkhaus nicht mehr beru?cksichtigt werden - die Parkplätze werden kleiner. Das entlastet die Städte, weil die gewonnenen Flächen als zusätzliche Lebens- oder Arbeitsräume sinnvoll genutzt werden können.“

Die dreifache Schubkraft eines Porsche 911 GT3

Aber für uns Speed Heads steht natürlich die Frage nach dem Fahrspaß stets an vorderster Stelle: Zwei Elektromotoren an den Hinterrädern liefern dank Untersetzung unglaubliche 1.400 Nm Drehmoment - das ist fast die dreifache Schubkraft eines Porsche 911 GT3, der 476 Nm erzielt. Zustande kommt dieser unglaubliche Wert durch eine 16-fache Untersetzung des E-Motors, der mit 21.000 U/min rotiert. Damit sind Geschwindigkeiten von bis zu 150 km/h möglich. E-Motor-typisch, drückt das ZF-Konzeptfahrzeug bärenstark drauf los, sobald der Fahrer das Pedal minimal drückt; denn das volle Drehmoment steht sofort abrufbereit. Die Elektronik sorgt für Fahrbarkeit und reduziert die Antriebskraft auf übertragbare Werte.

PreVision Cloud Assist: Mit der idealen Speed durch Kurven

Ein weiterer Clou, den ZF mit seinem Advanced Urban Vehicle umsetzte: „PreVision Cloud Assist“ begleitet den Fahrer intelligent durch das Straßengeläuf. Zuvor sammelte das System von regelmäßig gefahrenen Strecken die Daten und schickte diese an eine Cloud. Aufgrund dieser Informationen kann das Advanced Urban Vehicle selbstständig Drehmoment vor einer Kurve wegnehmen, die der Pilot zu schnell anfährt. Mechanische Bremsmanöver und somit Energievergeudung fallen weg.

Das mag zwar für manch einen Autofahrer nach Kontroll-Horror klingen, fühlt sich aber auf der Teststrecke absolut faszinierend an und stellt eine der Grundlagen für künftiges autonomes Fahren dar: Daten von gefahrenen Strecken werden gesammelt und tragen dazu bei, dass autonome Fahrzeuge ideal durch bestimmte Kurven fahren - etwa mit dem richtigen, maximal sinnvollen Tempo bei Nässe.

Der Zeitpunkt der Serienfertigung

Wie andere Hersteller und Zulieferer zeigt ZF mit dem Advanced Urban Vehicle erneut, wo die Reise in nächster Zeit hingeht. Sofort drängt sich die Frage auf, wann ein Kleinstwagen bis hin zum Kompakten mit 75 Grad Lenkeinschlag im Showroom eines Händlers stehen könnte. Das hänge, so ZF, davon ab, wie schnell sich ein Hersteller für das System interessiert, und wie bald eine geeignete Plattform zur Serienreife gelangt. „In der Regel dauert es bei unseren derartigen Lösungen fünf bis zehn Jahre, bis sie in Serie gehen“, verrät ZF-Entwickler Dr. Gerhard Gumpoltsberger. Man darf also gespannt sein, wann das erste City-Mobil noch wendiger und agiler als bisher durch unsere Straßen flitzt und Haken schlägt.

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