Hirn und Härte: Das ist der neue Weltmeister Nico Rosberg

, 27.11.2016

Zu weich und zu reich: Kaum ein Formel-1-Weltmeister musste sich mit so vielen Vorurteilen herumschlagen wie Nico Rosberg - Wir blicken hinter die Fassade

Jetzt hat er es tatsächlich allen gezeigt. Nico Rosberg, der es als Sohn von Formel-1-Weltmeister Keke Rosberg seit seiner Geburt gewohnt war, im Schatten zu stehen, ist endlich Champion. Und zwar verdient. Wer könnte das besser beurteilen als Damon Hill - bis zum heutigen Tag der einzige Weltmeister-Sohn, dem dieses Kunststück gelungen ist.

"Mit Michael Schumacher und jetzt Lewis Hamilton musste sich Nico in seiner Karriere gegen ziemlich harte Gegner beweisen", urteilt der Brite, der vor 20 Jahren den Titel holte, gegenüber dem 'Guardian'. "Das zeigt, dass er auf jeden Fall Weltklasse ist. Er hat sich verbessert, ist in jeder Hinsicht kompletter geworden, hat die Nerven bewahrt. Jeder, der es mit einem Fahrer wie Lewis, der viel mehr Talent hat, im gleichen Team aufnehmen kann und am Ende den Titel holt, verdient Respekt." Er hält Rosberg daher für einen "sehr würdigen Weltmeister".

Dabei hatte Rosberg nach zwei Niederlagen im Titelkampf gegen Hamilton längst den Nimbus, der ewige Zweite zu sein. Auch, weil ihm stets das Image anhaftete, nicht die Härte des aus der Londoner Vorstadt stammenden Instinktpiloten zu haben, der sich alles selbst erkämpfen musste. Rosberg schien hingegen alles in den Schoß zu fallen. "Nico ist in Monaco mit Jets, Hotels und Jachten aufgewachsen, während ich auf der Couch meines Vaters schlafen musste", legte Hamilton vor einigen Jahren den Finger in die Wunde des Stallrivalen. "Der Hunger ist einfach ein anderer."

Lange nicht ernst genommen

Angriffsfläche gab es ja auch genug: Bereits zu Kart-Zeiten reiste Rosberg mit dem Hubschrauber an, während sich andere Piloten die Reifen aus dem Müll holten. In der Formel BMW wurde er für eine Doku-Soap des Musiksenders VIVA stets von einem Kamerateam umringt. Viele sahen den reichen Jungen mit dem wallenden blonden Haar daher eher im Showbiz als in der Formel 1.

"Nico hatte es nicht einfach", weiß auch sein damaliger Formel-1-BMW-Renningenieur Peter Sieber im Interview mit 'Motorsport-Total.com'. "Wenn er gut war, hat jeder gesagt: 'Klar, mit den Voraussetzungen kann ich das auch.' Und wenn er nicht gut war, hieß es: 'Ist halt doch nur der Sohn vom Rosberg, der hat nicht das Talent vom Papa.' Aber Nico wollte nichts geschenkt, er wollte sich alles erkämpfen. Dafür hat er sich den Arsch aufgerissen."

Als er dann 2006 in Bahrain erstmals in der Formel 1 am Start stand, führten das immer noch viele auf die guten Kontakte des Vaters und den für den Sport hervorragend vermarktbaren Namen zurück. Ehe er auf Anhieb die schnellste Rennrunde hinknallte.

Schattenspiele: Schumacher und Hamilton stets im Mittelpunkt

Nach einigen Jahren bei Williams, in denen er sich vor allem als hervorragender Qualifyer etablierte, ging 2010 sein Traum in Erfüllung: Er wurde vom neuen Mercedes-Werksteam - nach dem Brawn-Erfolg 2009 im Grunde der Titelverteidiger - als Nummer-1-Pilot bestätigt. Doch dann setzte ihm Ross Brawn Michael Schumacher vor die Nase, und Rosbergs Gesicht wurde bei der Teampräsentation in Stuttgart immer länger, als sich die Fragen der Journalisten eine Stunde lang auf den Rekordweltmeister konzentrierten. Von Rosberg wollte niemand etwas wissen.

Der antwortete aber auf seine Weise und bügelte Schumacher im Qualifying nach Belieben. 2012 war es ebenfalls der Underdog, der dem neuen Silberpfeil-Werksteam in Schanghai den ersten Sieg schenkte. In seinem bereits 111. Rennen. Schumacher gelang bei Mercedes hingegen bloß ein einziger Podestplatz.

Doch die Schattenspiele sollten weitergehen: Nach Schumachers Abschied kam Hamilton zu Mercedes und zog das mediale Interesse mit seinem extravaganten Auftreten auf sich. Mit Racer-Qualitäten und ausgefahrenen Ellbogen auf und neben der Strecke schien er dem daneben brav wirkenden Rosberg den Zahn zu ziehen, doch entgegen aller Erwartungen bewies der Deutsche im dritten gemeinsamen Jahr seine Zähigkeit und drehte den Spieß um.

Von wegen typisches Reichensöhnchen

Eine Zähigkeit, die sich der Weltmeisterspross bereits in seiner Kindheit aneignete, auch wenn dies von außen oft nicht sichtbar ist. Auslöser war sein Vater, der als Rennfahrer stets das Image des wilden, unangepassten Renntiers hatte. Eine gute Schule für später.

"Ich kann mich an Tennispartien mit ihm erinnern", erzählt Nico, "da habe ich geheult, egal ob ich verloren oder gewonnen habe. Mal war ich sauer, dass er mich gewinnen ließ, mal war ich sicher, dass er geschummelt hatte." Vater Rosberg duldete zuhause kaum Widerspruch, führte ein autoritäres Regiment - eine Herausforderung für den Filius: "Er ist gern der Chef, oft haben wir zwei Tage nicht miteinander geredet."

Doch das ist nicht die einzige Unbekannte rund um den neuen Formel-1-Weltmeister. Der FC-Bayern-Fan hat aus seinen teils auch negativen Erfahrungen mit den Medien gelernt und im Gegensatz zum umtriebigen Hamilton ein stabiles Umfeld um sich gescharrt, das ihm Sicherheit gibt.

Rosbergs Schutzschild als Geheimwaffe

Neben seiner Frau Vivian und Töchterchen Alaia, mit denen er täglich in Kontakt steht, sind Physiotherapeut Daniel Schlösser sowie Ex-Bild-Reporter und Medienprofi Georg Nolte seine engsten Vertrauten. Sie zählen zu den wenigen Auserwählten, die die unterschiedlichen Facetten Rosbergs mitbekommen. Vater Rosberg hält sich hingegen von den Rennstrecken fern und lässt seinem Sohn Raum. "Ich sehe den echten Nico Rosberg nur selten", gibt selbst Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff gegenüber dem 'Telegraph' zu. "Und ich bezweifele, dass es da draußen irgendjemanden gibt, der das tut."

Doch genau dieses Schutzschild zählt mit Sicherheit auch zu einem Erfolgsrezept des Deutschen, der mit Intelligenz so manche fahrerische Schwäche wettmacht. "Er würde nicht einmal einen negativen Zeitungsartikel lesen, weil es ihn ärgern könnte", gibt Wolff Preis, wie konsequent der neue Weltmeister auf sein großes Ziel hingearbeitet hat. "Nicos Selbstdisziplin ist in diesem Jahr auf einem neuen Niveau."

Mit dieser Einstellung kann es Rosberg bestimmt auch verschmerzen, dass ihn Formel-1-Boss Bernie Ecclestone für einen schlecht vermarktbaren Weltmeister hält. "Sogar Kimi macht einen besseren Job als Nico", unkte der 84-jährige Brite kürzlich gegenüber der 'Daily Mail'. Rosberg würde hingegen dem Sport nichts bringen, "denn über ihn kann man nichts schreiben". Die für ihn wichtigste Headline, die hat der Mercedes-Pilot allen Unkenrufen zum Trotz, nun geliefert: "Nico Rosberg - Formel-1-Weltmeister 2016".

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