Mario Theissen: Rosberg war "der Popstar unter den Fahrern"

, 27.11.2016

Ein Wegbegleiter erinnert sich an die jungen Jahre von Weltmeister Nico Rosberg: Wie er beim ersten Formel-1-Test überzeugte und ihm Robert Kubica im Weg stand

Jetzt ist Nico Rosberg also Formel-1-Weltmeister. Es ist noch gar nicht so lange her, da fuhr der damals 16-Jährige in der Formel BMW - und wurde dort, gegen Rivalen wie Maro Engel und Christian Bakkerud auf Anhieb Champion, mit neun Siegen in 20 Rennen und 82 Punkten Vorsprung auf seinen ersten Verfolger, Maximilian Götz. Das Bild vom coolen Blondschopf, der die Formel BMW wegen seines Sponsors ins Musikfernsehen VIVA brachte, ist vielen heute noch in Erinnerung.

Einer seiner ersten Wegbegleiter im Formelsport war der damalige BMW-Motorsportdirektor Mario Theissen. "Nico kam aus dem Kart zu uns in die Formel BMW", erinnert er sich im Interview mit 'Motorsport-Total.com', geführt am Rande der ADAC-Wahl 2016 beim Münchner Italiener Limoni, bei dem Rosberg am 26. Oktober letztendlich einstimmig als Motorsportler des Jahres auserkoren wurde. Theissen saß bei der Wahl ebenso in der Jury wie Chefredakteur Christian Nimmervoll.

Rosberg, erinnert sich der heutige ADAC-Klassik-Referent, sei 2002 "die herausragende Figur" in der Formel BMW gewesen: "Er war der einzige, der so gesponsert wurde, von VIVA, und der bei der jungen Generation sofort ankam. Er war der Popstar unter den Fahrern! Er war sowohl von der fahrerischen Erfahrung als auch mental am weitesten. Er sprach schon viele Sprachen, war superintelligent. Da stach er aus dem Jahrgang heraus. Und er hat gleich den Titel gewonnen."

Talent war von Anfang an vorhanden

Schon damals war Theissen klar, dass Rosberg das Zeug hat, in die Formel 1 aufzusteigen und eines Tages vielleicht sogar Weltmeister zu werden: "Es war klar, dass er das kann. Das Talent war da." Die Betonung legt der 64-Jährige aber auf das Wort "kann", denn: "Bei den 15-, 16-, 17-Jährigen kann so viel passieren."

"Zum einen muss man immer beachten, welche Erfahrung sie schon mitbringen. Der eine ist mit 15 schon zehn Jahre im Kart gesessen, der andere hat gerade erst angefangen. Da muss man sehr aufpassen, dass man Talent nicht mit Erfahrung verwechselt. Und der andere Effekt ist, dass sich in jungen Jahren der eine in die eine Richtung entwickelt, der andere in eine andere. Der eine nimmt die Sache ernst, der andere hat plötzlich andere Interessen", so Theissen.

Trotz seines Images als cooler Mädchenschwarm, gehypt durch den Musiksender VIVA, wird Rosberg von anderen Wegbegleitern als zurückhaltender, fast schüchterner Jugendlicher beschrieben, der sein Standing bei den Mädchen kaum ausgenutzt hat. Ob dann und wann auch mal eine hübsche junge Dame in der Box des Rosberg-Teams stand? "Kann ich mich nicht dran erinnern", winkt auch Theissen ab.

Tränen bei der Meisterfeier 2002

Für Rosberg drehte sich alles um das Rennfahren. Als ihm bei der Meisterfeier 2002 mitgeteilt wurde, dass er als Lohn für den Gesamtsieg einen Formel-1-Wagen testen darf, ermöglicht vom damaligen BMW-Williams-Team, zog er sich die Haube über den Kopf und begann vor Freude zu weinen. Theissen erinnert sich noch gut an jenen 3. Dezember 2002, als der Formel-BMW-Champion von 140 auf geschätzte 900 PS umstieg.

"Ich war dort, sein Vater Keke war auch dort. Keke stand am Ende der langen Geraden und hat ziemlich gestaunt, wie schnell so was geht", erzählt Theissen. "Nico hat sich relativ schnell an das Auto gewöhnt und ist relativ bald schnell gefahren. Dieser Test war eigentlich nicht dazu gedacht, das Auto zu testen, sondern seinen eigenen Horizont hinauszuschieben, ein Verständnis dafür zu kriegen, was nach diesem Formel BMW noch kommt, wie weit das noch weg ist."

Frühe Berührungspunkte mit Vettel

Theissen legt Wert auf die Feststellung, dass Rosberg keineswegs der einzige Youngster war, der einen Formel-1-Wagen relativ schnell und instinktiv zügig bewegen konnte: "Ich habe einerseits immer wieder erlebt, wie die Jungs mit ungläubigen, staunenden Augen ausgestiegen, andererseits aber auch relativ schnell auf gute Zeiten gekommen sind."

Noch so ein Talent war Sebastian Vettel, der sich 2004 den Titel in der Formel BMW sicherte, mit sagenhaften 18 Siegen, einem zweiten und einem dritten Platz in 20 Rennen. In etwa zur gleichen Zeit begann BMW, am eigenen Formel-1-Team zu basteln, in Zusammenarbeit mit Peter Sauber. Als das Projekt 2006 in die Formel 1 startete, drehte Rosberg bei seinem ersten Grand Prix in Bahrain auf Anhieb die schnellste Runde - aber nicht auf BMW-Sauber, sondern auf Williams-Cosworth.

Ob Theissen es bedauert, in der Formel 1 nie mit Rosberg gefahren zu sein? "Die Frage wurde mir über Sebastian Vettel oft gestellt", schmunzelt er. "In der Formel 1 müssen alle Faktoren zusammenpassen. Bei Sebastian war es so, dass er bei Toro Rosso eine Chance auf einen Rennsitz bekam, während wir gerade mit zwei etablierten Fahrern zum Sprung nach vorne angesetzt haben. Da wäre das Risiko viel zu hoch gewesen, einen davon gegen Sebastian zu tauschen."

Kein Platz im BMW-Sauber-Team

"Und dann kam irgendwann die Situation, dass BMW den Stecker gezogen hat. Ansonsten hätte sich vielleicht die Möglichkeit ergeben, mit Nico was zu machen", erklärt Theissen. "Man kann das nicht alles steuern. Nico war 2006 noch nicht so weit. Für die Stammbesetzung war er kein Thema, denn Jacques Villeneuve hatten wir geerbt, der war sowieso da, und Nick Heidfeld war mein Wunschkandidat, weil er sowohl Sauber als auch Williams kannte."

Und als Rosberg Mitte 2006 theoretisch zum Thema hätte werden können, kam ihm ein anderes Talent in die Quere: "Die schwierige Entscheidung war der Testpilot, denn Robert Kubica konnte ich nur in Macao mal kurz im Formel 3 sehen", erinnert sich Theissen. "Wir hatten aber keine Möglichkeit, ihn ins Auto zu setzen und zu testen. Als er dann statt Villeneuve ins Auto kam, war es für mich naheliegend, Sebastian als Testfahrer nachzuziehen."

Vater Keke nur im Hintergrund

Der Einfluss von Weltmeister-Vater Keke, der in der Formel BMW und später in der Formel 3 für seinen Sohn das Team Rosberg zusammenstellte, das zeitweise auch in der DTM engagiert war, war sogar in der frühen Phase der Karriere überschaubar: "Keke ist nicht mit Nico an der Rennstrecke rumgeturnt und hat ihn angeleitet. Er war immer sehr dezent im Hintergrund, und Nico hat sein Ding selbst gemacht", sagt Theissen.

Eine der netteren Anekdoten mit Rosberg ereignete sich im Jahr 2003, als der damalige Formel-3-Pilot keine direkte Verbindung mehr zu BMW hatte, aber bei einer Veranstaltung auf Theissen traf. Man kennt sich, man grüßt sich. "Da hat er mir gesagt: 'Mensch, ich bin so was von nervös. Morgen mach ich den Führerschein!'", lacht Theissen. Den hat der 18-Jährige dann immerhin auf Anhieb bestanden...

Für den WM-Titel in der Formel 1 hat er drei ernsthafte Anläufe gebraucht, im elften Jahr hat's endlich geklappt. Und das ist laut Theissen genauso verdient wie die Kür zum Motorsportler des Jahres, "denn Nico ist drei Jahre gegen den stärksten Teamkollegen der Formel 1 gefahren. Und er ist daran nicht zerbrochen, sondern er ist im dritten Jahr so stark wie nie zuvor. Damit hat er es auf jeden Fall verdient."

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