Lowe: "Gentleman" Hamilton nicht so rücksichtslos wie Senna

, 14.06.2017

Wie Williams-Technikchef Paddy Lowe, der mit Lewis Hamilton und Ayrton Senna arbeitete, die beiden vergleicht und wieso er den Briten für den faireren Fahrer hält

Ayrton Senna ist seit Kindheitstagen das große Idol von Lewis Hamilton. Doch kann es der Brite, der in Kanada mit seiner 65. Pole-Position mit Senna gleichzog, mit dem für viele schnellsten Piloten der Formel-1-Geschichte aufnehmen? "Ja, zweifellos", meint einer, der es wissen muss: Williams-Technikchef Paddy Lowe, der bei McLaren 1993 kurz mit dem Brasilianer arbeitete und dort und bei Mercedes auch die Karriere Hamiltons aus nächster Nähe verfolgte.

Lowe ist der Ansicht, dass Hamilton Senna in Sachen Tempo um nichts nachsteht. "Diese großartigen Fahrer können eine außergewöhnliche Runde aus dem Hut zaubern", spielt der Brite gegenüber 'Autosport' auf die Pole-Runde Hamiltons in Montreal an. "Laut den Mercedes-Schätzungen und -Simulationen schien das Auto zu dieser Zeit wahrscheinlich nicht dazu in der Lage. Sie hatten sie nicht in ihren Tabellen. Wahrscheinlich dachten sie nach dem dritten Freien Training, dass Ferrari sie in der Tasche hatte. Und dann fuhr Lewis raus und zog alle Register."

Erinnerungen an Senna wurden wach, der im Qualifying auch teilweise das Unmögliche möglich zu machen schien: Als er 1994 zu Williams ging, litt der Bolide enorm unter dem Verbot der technischen Fahrhilfen. Dennoch gelang es Senna, bis zu seinem Tod in Imola bei allen drei Saisonrennen die Pole-Position zu holen. Teamkollege Damon Hill, schon damals ein Grand-Prix-Sieger, war stets um mehr als eine halbe Sekunde langsamer.

Hamilton für Lowe "ein wahrer Gentleman"

"Diese Fahrer schaffen das nicht jeden Samstag", erzählt Lowe. "Aber immer wieder passiert es, dass eine besondere Leistung erforderlich ist. Und dann knallen sie eine Runde hin, wo man sich fragt: 'Wie um Himmels Willen ist das möglich?' Lewis ist einer, der das drauf hat - und Ayrton hatte es definitiv auch drauf."

Dennoch sieht Lowe auch große Unterschiede zwischen Hamilton und Senna. Interessanterweise hält er den Briten, der wegen seiner Härte auf der Strecke vor allem im Stallduell mit Nico Rosberg auch Kritik einstecken musste, im Gegensatz zu Senna für einen "wahren Gentleman. Die Leute kritisieren ihn wegen einiger Dinge, aber eigentlich ist er auch ein sehr fairer Rennfahrer. Hart aber fair."

Das gelte nur bedingt für Senna, bei dem man dazu neige, die Ereignisse nachträglich "durch die rosarote Brille zu sehen", meint Lowe, der bis zum McLaren-Wechsel im Jahr 1993 beim Konkurrenzteam Williams arbeitete. "Meistens war ich Ayrtons Gegenspieler", gibt Lowe zu. "Deswegen ist die Perspektive für mich nicht unproblematisch, da Ayrton der Fahrer war, den es zu schlagen galt. 1992 ist uns das gelungen, aber in den Jahren davor schien das unmöglich, weil er rücksichtslos war."

Lowe: Wie Senna die Rivalen einschüchterte

Lowe war damals der Mann, der für Williams die revolutionäre aktive Radaufhängung baute. Trotz des technischen Vorteils zog Mansell aber im Titelkampf gegen Senna 1991 den Kürzeren. "Senna hatte unterschiedliche taktische Mittel, um seine Konkurrenz einzuschüchtern", erinnert sich Lowe. "Das war aber damals die Regel. Ich habe mich erst kürzlich mit Riccardo Patrese (damals Mansells Teamkollege; Anm. d. Red.) darüber unterhalten, und ohne ein spezielles Ereignis zu nennen, musste man damals einfach den Gegner einschüchtern, damit er es dir nicht zeigen konnte. Damals erhielt man ja für das Blockieren im Qualifying noch keine Strafe."

Lowe spielt mit seinen Aussagen auf die bis in die 1990er-Jahre üblichen Spielchen an, den Rivalen einem "Braketest" zu unterziehen, indem man wartet bis dieser aufläuft und dann abrupt auf die Bremse steigt, um diesen zu verunsichern. "So war das damals", meint Lowe. "Heute kann man sich darauf verlassen, dass die Polizei den Kerl bestraft. Wir leben heute in einer ganz anderen Welt, und Ayrton spielte das Spiel eben so, wie er es damals spielen musste." Charakterlich sei Senna also ganz anders gewesen als Hamilton.

Interessant ist auch, dass der Konflikt zwischen den beiden beim bislang letzten gemeinsamen Mercedes-Rennen offenbar beigelegt ist. Damals widersetzte sich Hamilton, der sich an seine letzte WM-Chance klammerte, der Aufforderung Lowes, das Tempo zu steigern. Der Mercedes-Star hatte darauf gehofft, dass Stallrivale Nico Rosberg durch die Blockade hinter einen anderen Piloten zurückfällt und dadurch im WM-Klassement doch noch auf Platz zwei zurückfällt.

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