Vettel, Alonso und die Schlacht, die den Krieg entscheidet

, 25.11.2012

Rechenexempel, Wetterkapriolen, Stallregie: Vor dem Showdown um die Krone der Formel-1-Welt spricht alles für Sebastian Vettel, aber nichts gegen Fernando Alonso

Heißt es am Fußball-Stammtisch im Laufe eines jeden Abends zwangsläufig, der Pokal habe seine eigenen Gesetze, könnten die Formel-1-Fans das über WM-Finals behaupten. Denn in der Theorie scheint der Showdown zwischen Sebastian Vettel und Fernando Alonso um die dritte Krone der Karriere heute Nachmittag in Sao Paulo eigentlich eine klare Angelegenheit. Doch das Problem des Deutschen und die Chance des Spaniers: Autorennen werden nicht auf Papier, sondern auf Asphalt bestritten.

Das ändert nichts an der Tatsache, dass sich Vettel im Qualifying einen Vorteil erarbeitet hat. Er startet von Rang vier, während Alonso seinen Boliden von Position sieben aus nach vorne bringen muss. Hält der Heppenheimer seine Position, ist unabhängig vom Resultat des Gegners alles klar. Und kommt er vor dem Mann aus Oviedo ins Ziel, ist die Messe ohnehin gelesen - genau wie bei einem Ausfall beider Aspiranten. Klar, dass Vettel mit seinem Startplatz nicht unglücklich ist: "Wir sind noch immer verdammt konkurrenzfähig", sagt er.

Vettel setzt auf Abteilung Attacke

Geschlagen geben mussten sich er und sein vor ihm startender Teamkollege Mark Webber am Samstag nur den "Chrompfeil"-Piloten Lewis Hamilton und Jenson Button. "Der McLaren ist schon das ganze Wochenende über schnell, das haben wir vor dem Qualifying erwartet", gibt sich Vettel gelassen. Denn selbst, wenn er an die beiden Briten nicht herankommen sollte, stünden die Chancen gut - aber daran denkt er gar nicht: "Sobald die Ampellichter ausgehen, attackieren wir die Jungs an der Spitze."

Die 'Motorsport-Total.com'-Leser lagen übrigens richtig, was den Ausgang des Qualifyings angeht. In einer Umfrage mit 2.054 abgegeben Stimmen sagten 81,79 Prozent voraus, dass Vettel in der Startaufstellung näher an der Ampel steht. Nur 18,21 Prozent waren der Meinung, Alonso hätte die Nase vorn. Aber: Die Leser haben den Ferrari-Star noch nicht abgeschrieben. In der Nacht zum Sonntag glaubt in einer weiteren Umfrage mit 726 Teilnehmern exakt die Hälfte an ein rotes Wunder.

Attacke muss auch Alonsos Devise sein. Denn der Ferrari-Pilot hat keine Chance auf den Titel, wird er nicht mindestens Dritter. In diesem Fall dürfte Vettel über Rang zehn nicht hinauskommen. Ein zweiter Platz des Spaniers ist dann gleichbedeutend mit dem Titel, wenn Vettel höchstens Achter wird. Der Sieg in Brasilien schmeckt dann besonders süß für Alonso, erreicht der Red-Bull-Star das Ziel nicht unter den besten Vier. Helfen soll bei diesem Unterfangen der Wettergott: Wasser marsch!

Ist Regen wirklich Alonsos große Chance?

Alonso, dem die Wetterprognosen mit einem aus Argentinien aufziehenden Tief über Sao Paulo Mut machen, erklärt unumwunden: "Im Trockenen sind wir nicht konkurrenzfähig, aber bei Nässe ist das Auto gut." Jedoch stellt der 31-Jährige eine Rechnung mit Unbekannten an. Die jüngsten Fahrten im Regen fanden in den Freien Trainings von Hockenheim und Silverstone statt - zu einem Zeitpunkt, als der F2012 noch in einer ganz anderen Konfiguration und ohne viele Updates unterwegs war.

Für Vettel spielt es dagegen keine Rolle, was ihm die Wetterfrösche prophezeien. Er bleibt bei seiner Devise: "Wir müssen hungrig und angriffslustig sein. Nicht zu viel nachdenken und nachher die falschen Entscheidungen treffen." Und keine Rechenexempel anstellen, die umgekehrte Vorzeichen zu Alonso aufweisen. Das heißt: Bleibt für ihn nur Rang fünf, sechs oder sieben, muss er hoffen, dass der Spanier nicht gewinnt. Auf Platz acht oder neun wäre Vettel dann Champion, wenn Alonso maximal Dritter wird.

Wer kann sich auf den Teamkollegen verlassen?

Diese Szenarien haben eines gemeinsam: Sie setzen voraus, dass Vettel Positionen verliert. "Wir haben Spiegel am Auto, aber hoffentlich müssen wir sie nicht benutzen", entgegnet der Deutsche, der sich über das Wetter nicht den Kopf zerbrechen will: "Ich erwarte gar nichts." Offenbar auch nicht von Teamkollege Webber: in Sachen Schützenhilfe. "Mark fährt seinen Grand Prix, ich fahre meinen. Deswegen sind wir hier. Um Rennen zu fahren, um gegeneinander Rennen zu fahren."

Bei Ferrari sieht das anders aus, wie der Schachzug mit dem gebrochenen FIA-Siegel am Getriebe Felipe Massas in den USA eindeutig zeigte. Alonso sieht diese Stallregie nicht als solche, sondern als taktisches Manöver im Kampf gegen McLaren in der Konstrukteurs-WM: "In Austin war das eine einfache Entscheidung. Wir haben sie nicht getroffen, um mich nach vorne zu bringen, sondern, um beide Autos auf gute Startplätze zu stellen." Wegen der dreckigen Spur. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.

Regenüberraschungen eher unwahrscheinlich

Doch selbst wenn Felipe Massa, beim Heimrennen offenbar in Topform und heute auf Startplatz fünf, für den Chef nicht per Strafversetzung, sondern konventionell auf der Strecke Platz macht: Alonso muss an weiteren Autos vorbei. Und das dürfte mit dem F2012 kein leichtes Unterfangen werden: "Wir waren schon im Trockenen mit dem maximalen Abtrieb unterwegs. Da wird es im Nassen keine große Umstellung", legt Alonso nahe, dass der Regen vielleicht gar nichts auf den Kopf stellt.

Hinzu kommt, dass sich die Meteorologen mit ihren Prognosen für Sao Paulo schon weit vor Samstag so sicher und einig waren, dass alle Fahrzeuge über ein regentaugliches Setup verfügen dürften. "Ich glaube nicht, dass heute jemand groß gepokert hat", spekuliert Alonso. Und auch bei Red Bull dürfte man genügend Grips am Kommandostand versammelt haben, um richtige Entscheidungen zu treffen. "Es sind mehr Fahrer hinter uns als vor uns. Es gibt morgen eine Menge taktische Möglichkeiten", warnt Vettel.

Teamgeist gegen Routine

Alonso hält mit dem entgegen, was ihn schon die gesamte Saison über auszeichnet: Herz, Kampfgeist und der Unwille, aufzugeben. "Wir sind hier und kämpfen um die WM, obwohl wir ein Auto haben, das in den vergangenen Rennen nicht funktioniert hat. Das ist doch nicht normal. Darauf bin ich stolz und mir gefällt, was wir erreicht haben." Durchhalteparolen? Vielleicht. Eine Motivation für die Ferrari-Familie, die ihren Teamgeist seit Wochen als Kapital darstellt? Ganz bestimmt.

Alonso beteuert, die Saison wegen ihrer starken Sonntage in Erinnerung zu behalten - unabhängig von dem, was Sao Paulo bereithält. Er habe schon gewonnen, redet er sich und der Formel-1-Welt ein. Er wird nimmer müde, diese Aussage zu wiederholen. Vettel muss dagegen erstmals einen Vorsprung in einem WM-Finale verteidigen. "Das Rennen angehen wie die vergangenen 19 auch", klingt es aus der Red-Bull-Dauerschleife. Aber WM-Finals haben eben ihre eigenen Gesetze. Eine Floskel, zugegeben, aber deshalb vielleicht nicht weniger wahr.

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