Zitterpartie bei Red Bull: "Dachten, er geht in Flammen auf"

, 25.11.2012

Wieso Horner, Newey und Rocquelin den WM-Titel drei Mal abgeschrieben hatten - Vettel unterwegs mit Leistungsverlust, ohne Handling und in einem Panzer

Sechs Titel in drei Jahren hat Red Bull eingefahren. Für alle anderen fünf zusammen dürfte die Mannschaft nicht so viel Schweiß vergossen haben wie für die Fahrerkrone, die sich Sebastian Vettel am Sonntag in Sao Paulo aufsetzte. Es war ein Rennen, das alles bot: Einen Startunfall, ein beschädigtes Auto kurz vor einem Brand, Wetterkapriolen sowie einen Fahrer, der plötzlich an die Box kommt und seine Crew überrascht. "Das werde ich nie vergessen", sagt Adrian Newey im Gespräch mit 'Sky'.

Doch der Reihe nach: Schrecksekunde Nummer eins für den Chefdesigner ereignete sich kurz nach Rennbeginn in Kurve vier, als Vettel mit Bruno Senna kollidierte, sich drehte und kurz entgegen der Fahrtrichtung stehenblieb. "So etwas Dummes, was Senna da gemacht hat", flucht Christian Horner bei 'RTL' über den Williams-Piloten. "Es sind schwierige Bedingungen, aber es hätte das Ende sein können. Kimi (Räikkönen, Anm. d. Red.) hat noch Platz gemacht und Senna hat ihn dann herumgedreht", schüttelt der Teamchef den Kopf.

Hilflos am Kommandostand

"Ich weiß nicht, wo der hin wollte. Das war absolut Sennas Fehler", legt der Brite nach. Er habe Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz schon zu Hause in Österreich schreien hören. Denn Horner war bereits der festen Überzeugung, das Ende aller Träume mitangesehen zu haben: "Ich war überrascht, dass das Auto überhaupt überlebt hat." Auch Guillaume Rocquelin meint bei 'Sky Sports F1', er habe "keine Ahnung", wie das möglich gewesen sei. Vettels Renningenieur machte sich um die Aufhängung die meisten Sorgen.

Doch da lag er falsch. Denn es brannte am Heck. Und das wäre beinahe wörtlich zu verstehen gewesen. "Es gab einige Blechschäden, noch mehr Sorge bereitete mir aber das lädierte Auspuffsystem", erklärt Newey 'Sky Sports F1'. Es begann das große Zittern am Kommandostand, schließlich stand der Bolide kurz davor, in Flammen aufzugehen: "Wir dachten, das Auspuffrohr würde brechen und das Auto Feuer fangen." Die Verantwortlichen sahen alles hilflos mit an: "Wir konnten nur noch die Daumen drücken."

Doch statt dem RB8 des Heppenheimers brannte nur eines ab: Das Rundenzeiten-Feuerwerk Vettels. "Die nächsten sechs Umläufe waren unglaublich, er war der schnellste auf der Strecke", lobt Horner, der mit seinen Kollegen fieberhaft an einer Lösung für das Problem arbeitete. Um den Auspuff so kühl wie möglich zu halten und die Brandgefahr zu verringern, griff man elektronisch in das Motorenmapping ein. "Wir haben dadurch Leistung eingebüßt", nennt Newey den Preis dieser Akutmaßnahme.

Handling, als ob der Frontflügel fehlt

Der PS-Verlust des Renault-V8 war aber nicht die einzige Konsequenz, mit der Vettel und seine Equipe leben mussten: "Wir haben auch Abtrieb am Heck verloren", sagt Newey über die Beschädigungen. Dezente Entwarnung gab es nach dem Studium von Fotoausdrucken der lädierten Teile, Bedenken blieben aber ständiger Begleiter. "Beim Boxenstopp konnten wir dann den Frontflügel nachjustieren, um das etwas auszugleichen", erklärt der Chefdesigner die Gegenmaßnahmen.

Apropos Boxenstopp: Die Besuche Vettels bei der Red-Bull-Crew liefen - wie so vieles in Brasilien - auch nicht rund. "Im Mittelstint haben wir uns für die härteren Reifen entschieden, weil wir gehofft haben, dass sie länger halten würden", erinnert sich Horner. Aber Pustekuchen: So beschädigt, wie das Auto war, kam der Punkt, an dem die Pneus infolge des ständigen Rutschens durch die Kurven einbrachen. Das Auto war komplett aus der Balance. Die Red-Bull-Verantwortlichen sprechen von einer Situation ähnlich der, wenn der komplette Frontflügel abreißt.

Während am Himmel die dunklen Wolken aufgezogen waren, begann auf Erden die Lotterie. Wieder Slicks oder Intermediates? "Wir konnten nur die Reifen aufziehen, die für die aktuellen Bedingungen die richtigen waren, weil auf den Wetterbericht kein Verlass war", erzählt Newey vom Fiasko um die Prognosen. Und Red Bull verzockte sich, denn kurz nach dem Boxenstopp fielen die Regentropfen. "Das ist dieses Alptraumszenario", erschaudert der Stardesigner angesichts der Situation.

Umso größer die Erleichterung, umso größer die Party

Also Intermediates holen, weiterfahren - doch auch das ging bei den Österreichern nicht reibungslos. Weil das Mikrofon im Helm Vettels keinen Ton mehr transportierte und der 25-Jährige an der Boxenmauer nicht mehr zu hören war, überraschte der spätere Dreifach-Weltmeister seine Jungs mit seinem Abbiegen - auf die Schnelle lagen nur drei Reifen parat. "Wir haben drei oder vier Mal gedacht, die WM sei weg. Aber Jenson hat einen guten Job gemacht", dankt Rocquelin Rennsieger Button, der Fernando Alonso die entscheidenden Zähler abnahm.

"Wir hätten es uns einfacher gewünscht", schmunzelt der französische Renningenieur. Trotzdem war es für Vettel am Ende des Tages auch deshalb die Krönung, weil es ein unter mehr als widrigen Umständen erkämpfter WM-Titel war. "Sebastian hat mit einigen großen Namen gleichgezogen", zeigt sich Horner gerührt. "Das Team hat das ganze Jahr über einen brillanten Job gemacht. Das Auto war verlässlich, das haben wir jedem einzelnen zu verdanken."

"Das ist eine Hommage an die ganze Truppe, auch an die Jungs zu Hause in Milton Keynes. Ohne ihre harte Arbeit hätte das alles nicht geklappt", weiß Horner die stillen Teilhaber des Erfolges zu würdigen. Newey nennt das Erfolgsgeheimnis seiner Konstruktionen, die sich im Laufe eines Jahres ständig zu verbessern scheinen: "Es geht darum, danach zu schauen, was man im Augenblick tun kann, nicht eines Tages." Umso schwieriger der Sieg, umso ausgiebiger die Feier, glaubt Horner: "Sicher gibt es morgen einige dicke Köpfe."

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