Einfach irre: Mit einer Zeit von nur 5:19,546 Minuten pulverisierte der 37-jährige Rennfahrer Timo Bernhard am 29. Juni 2018 in einem Porsche 919 Hybrid Evo den legendären Rundenrekord von Stefan Bellof auf der 20,832 Kilometer langen Nürburgring-Nordschleife. Bellofs Bestzeit von 1983 galt bereits als Rekord für die Ewigkeit, doch Timo Bernhard unterbot die alte Rekordmarke um deutliche 51,58 Sekunden. Trotz der beeindruckenden Bestmarke von 2018 stellt sich bei vielen die Frage, ob es sich wirklich um einen Fabel-Rekord handelt und lassen sich die Rekordzeiten überhaupt vergleichen?
Stefan Bellof und eine unfassbare Rekordrunde auf der Nordschleife
Nie zuvor schaffte es ein Fahrer, auf der Nürburgring-Nordschleife eine Durchschnittsgeschwindigkeit von über 200 km/h zu erreichen, genau genommen waren es 202,07 km/h. Der Deutsche Stefan Bellof war 1983 der Erste und für lange Zeit der einzige, der diese hohe Speed erzielte. Seinen Rundenrekord von 6:11,13 Minuten stellte das größte Ausnahmetalent seiner Zeit am 28. Mai 1983 mit einem 620 PS starken Rothmans Porsche 956 (Gruppe C) beim Training zum 1.000-Kilometer-Rennen auf. Die Nordschleife, damals eigentlich 22,8 Kilometer lang, war damals wegen Bauarbeiten auf die nahezu heutigen 20,835 Kilometer verkürzt.
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Kein Geringerer als Jackie Stewart sagte 1984: „Stefan Bellof ist das größte Talent, das ich je gesehen habe.“ Herbie Blash, seit 1995 stellvertretender Renndirektor der FIA bei Formel-1-Rennen: „Bellof war eine Kreuzung aus Michael Schumacher und Gilles Villeneuve.“ Als Bellof 1984 in der Formel 1 fuhr, bestritt das deutsche Rennfahrer-Ass zwischen den F1-Rennen mit einem Porsche 956 noch die Sportwagen-Weltmeisterschaft und wurde Langstrecken-Weltmeister, darüber hinaus Deutscher Rennsportmeister und Fahrer-Europameister - ein unglaubliches, von Erfolg gekröntes Pensum und aus heutiger Sicht unvorstellbar.
Der 1957 geborene Stefan Bellof galt als schnellster Rennfahrer seiner Generation, verunglückte allerdings beim 1.000-Kilometer-Rennen im belgischen Spa-Francorchamps am 1. September 1985 tödlich. Bellof versuchte, Jacky Ickx in der Senke Eau Rouge außen zu überholen, was damals als unmöglich galt und in einer Kollision mit dem Belgier fatal endete. Das Erbe des Deutschen war der legendäre Rundenrekord auf der Nordschleife, der Bellof über seinen Tod hinaus verdienten Ruhm bescherte.
Porsche 919 Hybrid Evo: Wahnsinnige Zeit mit einem großen Unterschied
5:19,55 Minuten zeigte die Stoppuhr, als der 37-jährige Timo Bernhard in einem Porsche 919 Hybrid Evo die Messlinie kreuzte. Damit stellte der zweimalige Le-Mans-Sieger und amtierende Langstrecken-Weltmeister auf der Nürburgring-Nordschleife einen neuen Rundenrekord auf und erzielte eine wahnsinnige Durchschnittsgeschwindigkeit von 233,8 km/h.
Während Bellof seine Rekordrunde vor 35 Jahren ungeplant in einem Alu-Monster im Training fuhr und dabei noch weitere Fahrer auf der Strecke waren, konnte sich Bernhard akribisch vorbereiten, hatte die Strecke für sich ganz alleine und fand ideale Bedingungen vor.
Porsche 919 Hybrid Evo: Losgelöst von den Fesseln des Reglements
Der in Rennen eingesetzte Porsche 919 Hybrid konnte durch das ab 2014 gültige technische Reglement der FIA für die Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) und den Klassiker in Le Mans nie sein echtes Potential zeigen - und dennoch holte er die Gesamtsiege von Le Mans und der WEC-Langstreckenweltmeisterschaft in den Jahren 2015, 2016 und 2017.
Doch jetzt, losgelöst vom Reglement der FIA, kann Porsche demonstrieren, wozu der Rennwagen tatsächlich fähig ist und entwickelte den Porsche 919 Hybrid Evo. Von einigen Reglementrestriktionen befreit, erzeugt der Hybrid-Antrieb der Evo-Version eine Systemleistung von 1160 PS. Das Leergewicht des Evo sank um 39 Kilogramm auf 849 Kilogramm und seine modifizierte, jetzt aktive Aerodynamik generiert 53 Prozent mehr Abtrieb im Vergleich zum WEC-Modell. Die Spitzengeschwindigkeit auf dem Nürburgring betrug 369,4 km/h.
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Im Detail: Für den Antrieb des Porsche 919 Hybrid Evo sorgt ein 2,0 Liter großer V4-Turbobenziner in Kombination mit zwei Energierückgewinnungssystemen - Bremsenergie von der Vorderachse und Abgasenergie. Während der 720 PS mächtige Verbrenner die Hinterachse antreibt, wirkt beim Boosten an der Vorderachse ein E-Motor mit 440 PS und sorgt für Allradantrieb beim Beschleunigen. Gleichzeitig sammelt der Porsche 919 Hybrid unter Last wieder Energie aus dem Abgastrakt ein, die sonst ungenutzt entweichen würde.
Das Effizienz-Reglement der WEC limitierte die Energie aus Kraftstoff pro Runde mittels Begrenzung der Durchflussmenge durch einen „Fuel Flow Meter“. Damit leistete der Vierzylinder-Verbrenner nur etwa 500 PS. Da auch die erlaubte einsetzbare Energiemenge aus den beiden Rückgewinnungssystemen vom Reglement in Megajoule pro Runde limitiert war, blieben die Systeme deutlich unter ihrem Potenzial. Mit jetzt vollem Boost wuchs die Leistungsausbeute der E-Maschine an der Vorderachse von 400 PS auf 440 PS.
Der Porsche 919 Hybrid Evo ist sogar schneller als die Formel 1: Porsche-Werksfahrer Neel Jani gelang am 9. April 2018 auf dem 7,004 Kilometer langen Grand-Prix-Kurs von Spa-Francorchamps eine Runde in 1:41,770 Minuten. Damit unterbot Jani den bisherigen Rundenrekord von Lewis Hamilton im Mercedes F1 W07 Hybrid um 0,783 Sekunden. Hamiltons Runde datiert auf den 26. August 2017 und dauerte 1:42,553 Minuten. Jani erzielte auf seiner Rekordrunde eine Höchstgeschwindigkeit von 359 km/h und eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 245,61 km/h.
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Ist der neue Rekord ein echter Rekord?
Hartgesottene Motorsportler bemängeln, der Porsche 919 Hybrid Evo sei ein illegales, nicht regelkonformes Auto. Porsche behauptet aber nicht, den Rundenrekord für das schnellste Rennauto aufgestellt zu haben - dieser Rekord wird Stefan Bellof weiter zugeschrieben, der zu seiner Zeit mit dem Porsche 956 C Unglaubliches vollbrachte.
Direkt vergleichen lassen sich die Rekordfahrten nicht, zu unterschiedlich sind die Begebenheiten, die Materialien und die Technologien: Bellof während des Trainings und Bernhard im übertragenen Sinne bei Laborbedingungen, ein Alu-Monster gegen ein mit modernsten Technologien ausgestattetes Fahrzeug.
Um den Porsche 956 C vor 35 Jahren mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von über 200 km/h über die Nordschleife zu bewegen, unterstreicht zweifellos das grandiose, fahrerische Können von Bellof. Aber die Zeit dreht sich weiter. Nicht ohne Grund werden auch Rundenrekorde bei den schnellsten, straßenzugelassenen Fahrzeugen auf der Nordschleife immer wieder gebrochen. Zeiten, die mit Autos vor 10 Jahren nicht möglich gewesen wären. Es lassen sich keine Generationen direkt vergleichen. Man muss der Beste seiner Generation sein. Porsche holte den neuen Rekord mit Innovationen und einem mutigen, sehr fähigen Fahrer, die auf faszinierende Weise zeigen, was heutzutage möglich ist.
Fakt ist: Unabhängig von irgendeiner Kategorie, fuhr Timo Bernhard mit dem Porsche 919 Hybrid Evo die schnellste Runde aller Zeiten auf der Nürburgring-Nordschleife. Ein echter Rekord!