Formel 1 Russland 2017: Bottas behält gegen Vettel die Nerven

, 30.04.2017

Erster Grand-Prix-Sieg für Valtteri Bottas in Sotschi: Mit tollem Start und Nerven aus Stahl im Finish bezwingt er den favorisierten Ferrari-Star Sebastian Vettel

"Hat eine Weile gedauert", lächelte Valtteri Bottas im Sieger-Smalltalk mit Sebastian Vettel im Podium-Room in Sotschi. Der Mercedes-Fahrer sicherte sich mit einer starken Leistung den Triumph beim Grand Prix von Russland und trägt sich damit als sechster Finne der Geschichte in die Siegerliste der Formel 1 ein. Und als erst fünfter Silberpfeil-Werksfahrer, nach klingenden Namen wie Juan Manuel Fangio, Stirling Moss, Nico Rosberg und Lewis Hamilton.

Der Weg dahin war beschwerlich, obwohl es zu Beginn nach einem leichten Spiel für Bottas aussah. Aber im Finish musste er mit stärker gebrauchten Reifen ein elektrisierendes Duell gegen Polesetter Vettel (Ferrari) für sich entscheiden, um im 81. Anlauf endlich zu gewinnen. Die Entscheidung fiel erst in der letzten Runde, als sich ausgerechnet Routinier Felipe Massa (Williams) beim Überrunden nicht sonderlich geschickt anstellte.

Vettels spontane Reaktion am Boxenfunk war lautstark: "Was war das?" Auf dem Podium sah er die Szene dann aber schon wesentlich gelassener: "Ich war sicher, Felipe würde in Kurve 3 lupfen. Aber dann habe ich falsch erahnt, was er tun würde. Das hat mehr Zeit gekostet als erhofft. Aber letzten Endes", gibt er sich als fairer Verlierer, "war das egal."

Auch wenn Formel-1-Experte Marc Surer findet, er habe sich "ungeschickt" angestellt, wäscht Massa seine Hände in Unschuld: "Ich war ganz links, habe die Innenseite offen gelassen", winkt er ab. Und: "Er hätte Valtteri sowieso nicht mehr überholt." Über Vettels Beschwerde am Boxenfunk kann er nur lachen: "Wirklich? Er beschwert sich doch sonst nie ..."

Die Vorentscheidung war ohnehin am Start gefallen. Vettel kam eigentlich nicht schlecht von der Linie weg, aber Bottas nutzte vom dritten Platz aus den Windschatten optimal. Als die beiden in die zweite Kurve einbogen, hatte der Mercedes die Nase schon vorne. "Da hat er das Rennen gewonnen", räumt Vettel ein. "Und dann ist er einen super ersten Stint gefahren. Ich konnte nicht mithalten. Er war der Mann des Rennens."

Nach der ersten Runde hatte Bottas 1,9 Sekunden Vorsprung auf Vettel. Von der zweiten bis zur vierten Runde wurde das Feld wegen der Startkarambolage Palmer-Grosjean vom Safety-Car eingefangen. Eine Schlüsselszene war der Restart. "Über den freue ich mich fast mehr als über den Start", lacht Bottas. Danach baute er innerhalb von acht Runden 3,7 Sekunden Vorsprung auf. In Runde 21 war der Vorsprung am größten: 5,5 Sekunden.

Aber dann schien sich das Blatt zu wenden. Als Bottas in Runde 27 zum einzigen Boxenstopp kam, war Vettel bis auf 2,6 Sekunden an ihm dran. Bottas kam mit 20,6 Sekunden Rückstand wieder auf die Strecke. Zu Beginn der 34. Runde betrug der Abstand sogar 20,7 Sekunden, weil Vettel trotz seiner gebrauchten Reifen ein hohes Tempo einschlagen konnte.

Im ersten Sektor der 34. Runde nahm ihm Bottas aber sechs Zehntelsekunden ab. Das war das Signal für Ferrari, das Auto mit der Nummer 5 an die Box zu holen. Und weil der Boxenstopp mit 3,4 Sekunden Standzeit nicht perfekt war, hatte Vettel plötzlich 4,7 Sekunden Rückstand - aber auch die um sieben Runden frischeren Ultrasoft-Reifen.

Mit denen setzte er zur Aufholjagd an. In Runde 44 verlor er eine halbe Sekunde beim Überrunden von Carlos Sainz (Toro Rosso). In Runde 49 durfte er erstmals den DRS-Knopf drücken, aber nur kurz. Danach konnte ihn Bottas gut auf Distanz halten. Erst in der vorletzten Runde war Vettel dauerhaft in der DRS-Sekunde. Aber dann kam Massa ...

Was keiner mitbekam: Hinter den Kulissen gab es bei Mercedes heiße Diskussionen. Denn beide Autos liefen heißer als geplant, weshalb von der Datenanalyse in Brackley das Signal kam, man solle nicht volle Motorleistung freigeben. Das sorgte für eine Meinungsverschiedenheit zwischen Toto Wolff und Niki Lauda. Lauda wollte auf die Daten pfeifen und Feuer frei geben, Wolff das technische Risiko nicht eingehen.

"Niki hat gesagt: 'Dreht es einfach auf, ich nehme es auf meine Kappe!' Wir haben dem widerstanden und gewonnen", lächelt Wolff. Das Thema Überhitzen begleitete ihn heute aber das ganze Rennen hindurch. In erster Linie am Auto von Hamilton. Der meldete in der achten Runde erstmals, dass etwas nicht stimme, und bekam als Antwort, er solle das Auto kühlen.

Das ging dann rundenlang so weiter, bis sein Renningenieur Peter Bonnington in Runde 23 funkte: "Lewis, die Temperaturen beginnen zu sinken!" Nach dem verlorenen Startduell gegen Kimi Räikkönen war trotzdem nicht mehr drin als Platz vier. "Die Position auf der Strecke", seufzt er, "war heute alles." Am Ende landete er zum ersten Mal seit Schanghai 2016 nicht auf dem Podium.

Für Räikkönen ("Nach dem Start ist nicht mehr viel passiert") war es ein einsames Rennen zum dritten Platz. Generell war Russland 2017 kein Grand Prix, der einen vom Hocker riss. Schon in der Anfangsphase war das Feld weit auseinandergezogen. Aber die Statistik spricht eine andere Sprache: Gab es in Sotschi 2016 31 Überholmanöver, so waren es diesmal immerhin noch 18.

Hinter Max Verstappen (Red Bull), der nur am Ende des Rennens mit dem Handling des RB13 zufrieden war, landeten die Force-India-Fahrer Sergio Perez und Esteban Ocon nach einer soliden Vorstellung auf P6/7. Nico Hülkenberg (Renault) fuhr einen extrem langen ersten Stint und wurde dafür mit Rang acht belohnt.

Auch, weil Massa unerwartet einen zweiten Boxenstopp einlegen musste. Der Brasilianer musste seinen sicher scheinenden sechsten Platz wegen eines schleichenden Plattens aufgeben. Immerhin behauptete er sich vor Sainz auf Rang neun. Lance Stroll (Williams) schrammte bei seiner ersten Zielankunft (nach Dreher in der ersten Runde) um 5,6 Sekunden an seinem ersten WM-Punkt vorbei.

Ein kleines Drama spielte sich um Daniel Ricciardo ab. Zuerst fiel der Red-Bull-Pilot am Start vom fünften auf den siebten Platz zurück - und dann sah er plötzlich eine brennende Bremsscheibe im Rückspiegel: "War eigentlich Zufall, weil ich schauen wollte, wo Perez ist, der hinter mir war. Dann habe ich es plötzlich gesehen." Wenig später musste er an der Box aufgeben.

Fernando Alonso (McLaren-Honda) schaffte es diesmal nicht einmal in die Startaufstellung. "Ich kriege eh keinen früheren Flieger, also schaue ich mir jetzt das Rennen an", seufzte er nach seinem ERS-Defekt in der Aufwärmrunde. Wegen der zweiten Aufwärmrunde wurde übrigens die Renndistanz von 53 auf 52 Runden verkürzt.

Romain Grosjean (Haas) verstand nach der Kollision mit Jolyon Palmer (Renault) die Welt nicht mehr: "Er ist mir reingefahren!" Aber Palmer konnte innen nicht mehr Platz lassen, weil außen ein Sauber neben ihm war. Experte Surer sieht die Situation ohnehin neutral: "Hier gibt's keinen Schuldigen. Ein typischer Rennunfall." Die FIA-Kommissare untersuchen erst nach Rennende.

Kevin Magnussen (Haas) wurde 13. Unverständlich war für ihn die Fünf-Sekunden-Strafe im Getümmel der ersten Runde: "Das ist nicht fair. Ich habe den Williams überholt und die Position zurückgegeben. Habt ihr mit Charlie gesprochen? Das kann so nicht stimmen", ärgerte er sich am Boxenfunk. Immerhin ließ er Stoffel Vandoorne (McLaren) und die beiden Sauber-Fahrer hinter sich, die als einzige das Risiko eingegangen waren, auf Super- statt Ultrasoft zu starten.

In der Weltmeisterschaft bleibt's damit weiter spannend. Vettel führt nun 13 Punkte vor Hamilton und 23 vor Bottas. Nur Räikkönen verliert an das Spitzentrio schon etwas den Anschluss. Bei den Konstrukteuren liegt Mercedes nach Sotschi einen Punkt vor Ferrari. Weiter geht's am 14. Mai mit dem Grand Prix von Spanien in Barcelona.

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