Wege zum Ruhm: Wie Vettel Mercedes "feddisch machte"

, 29.03.2015

Renntempo, Safety-Car, Reifenverschleiß, der "alte" Vettel: Wie Ferrari es in Malaysia schaffte, die silberne Dominanz zu brechen und warum er jetzt die WM-Krone will

Als beim Malaysia-Grand-Prix am Sonntag die Ampel auf Grün sprang, sah alles nach der nächsten Galavorstellung für Mercedes und Lewis Hamilton aus. Doch keine zwei Stunden später bejubelten Ferrari und Sebastian Vettel einen souveränen Sieg. Die Silberpfeile waren erstmals seit Beginn der Saison 2014 ohne technische Pannen und sonstige Kapriolen geschlagen - auf der Strecke einfach langsamer. Vier Schlüsselelemente waren verantwortlich, dass der Heppenheimer den ersten Sieg in Rot feierte.

Erstens: Das Tempo des neuen Vettel-Dienstwagens SF15-T, der auf den Longruns mit viel Sprit zur Nummer eins der Szene avanciert scheint. "Wir sind gut losgekommen und setzten die Mercedes unter Druck", sagt Vettel bei 'RTL' über seinen Start, bei dem er sich mit harten Bandagen gegen Nico Rosberg behauptete und Hamilton auf den Fersen blieb. Dass Mercedes-Aufsichtsratsboss das Kapperl zog, ist Vettel nicht entgangen. Er meint lachend: "Niki redet gerne Klartext. Wir waren schneller als sie und deshalb haben wir sie geschlagen. Niki hat nicht immer Recht, heute schon."

Es erscheint wie ein kleines Wunder, dass die Scuderia es geschafft hat, unter den Beschränkungen durch das Reglement und mit stark limitiertem Testbetrieb ein Auto zu bauen, das den Sprung vom Mittelfeld an die Spitze geschafft hat. "Ich und ein paar andere Tausend Leute haben in Maranello dafür gesorgt", sagt Technikchef James Allison bei 'Sky Sports F1'. "Das ist viel, viel beharrliche Arbeit." Vettel beschwört den Geist der Mythosmarke: "Der Glaube an das Gemeinsame ist im Vordergrund. Das ist das Allerwichtigste. Die Veränderung im Winter war groß."

Ferraris Poker: Möglich dank geringem Reifenverschleiß

Zweitens: Die Safety-Car-Phase in der Anfangsphase mitsamt der Boxenstopps, die Vettel an die Spitze spülten. "Wir waren überrascht, dass beide Mercedes reingekommen sind", erklärt er über den Doppelstopp Hamiltons und Rosbergs, der sich als taktischer Fehler entpuppte, weil die beiden Silbernen fortan im Mittelfeld steckten und beim Überholen mehr Probleme offenbarten als erwartet. "Aber für uns umso besser. Sie mussten sich durchkämpfen, diese Runden haben uns einen Puffer verschafft", analysiert Vettel, der alte Qualitäten beim Fahren an der Spitze neu belebte.

Drittens: Die Eigenschaft des SF15-T als neuer Reifenflüsterer, der auf dem gummimordenden Asphalt Sepangs und bei Tropenhitze schonend mit den Pneus umging. Allison hatte damit nach den Trainingseindrücken gerechnet: "Unsere Reifen haben am Freitag gut funktioniert und das gab uns die Zuversicht für den ersten Stint im Rennen. Also mussten wir nicht so früh stoppen. Das hat uns einen sehr einfachen Weg an ihnen vorbei beschert", rekapituliert er, warum Hamilton und Rosberg beim Ausrücken des Safety-Cars ihre Crew ansteuerten, Ferrari aber pokerte.

Angesichts dieser Qualitäten glaubte Vettel bereits vor Halbzeit an den Coup: "Als ich im zweiten Abschnitt Lewis vor mir hatte", erinnert er sich an den Moment der Hoffnung. "Als er in die Box abgebogen ist, hatte ich einen Stopp Luft. Er hat dann auf dem Medium-Reifen stark aufholen können, aber das war kein fairer Vergleich." Vettels Pneus waren zu diesem Zeitpunkt mehr als zehn Runden älter. Trotzdem war das Tempo passabel. Da war selbst Allisons Taschenrechner perplex: "Ich hatte davon nur geträumt. Es ist das obere Ende dessen, was wir uns erhofft hatten."

Der "alte" Sebastian Vettel ist zurück

Viertens: Vettel hat den alten Killer-Instinkt und seinen unbändigen Siegeshunger, der ihn bei Red Bull von Sieg zu Sieg eilen ließ, wiederentdeckt - gepaart mit der Coolness, die einen viermaligen Champion auszeichnet. "Es war in Reichweite, aber es hätte noch so viel passieren können", sagt er über die letzten Runden in Sepang. "Deshalb musste ich mich kneifen, um mit den Gedanken nicht zu weit abzudriften." Offenbar spornen ihn die Ferrari-Familie und der gelebte Kindheitstraum an.

Dabei ist Tradition nicht immer ein Vorteil, wie Allison schildert: "Ich bin verdammt stolz auf das ganze Team. Jede Mannschaft arbeitet hart, aber Ferrari hat die Bürde der eigenen Geschichte auf den Schultern und das Gewicht der Erwartungen ganz Italiens." Maurizio Arrivabene, intern als Kumpeltyp und Vaterfigur bekannt, freut sich bei 'Sky Sports F1' besonders für seine Schützlinge. "Sie arbeiten Tag und Nacht. Als erstes dachte ich an sie." Er schickte lieber Chefmechaniker Diego Ioverno auf das Podium und verzichtete darauf, sich selbst mit Champagner duschen zu lassen.

Es stellt sich die Frage: Ist die Hackordnung von Sepang eine Momentaufnahme oder ein Bild, das bleibt? "Die Hitze hat den Mercedes-Antriebsstrang wohl nicht bevorzugt", schränkt Vettel die Verallgemeinerbarkeit des Ergebnisses ein und posaunt heraus, dass sein Hunger auf den fünften Titel gerade erst geweckt ist: "Deshalb habe ich unterschrieben. Das ist unser Ziel, das ist unsere Mission. Wir müssen weitermachen und sehen, wo wir stehen. Man muss aber auch realistisch sein: Wir hatten im vergangenen Jahr großen Rückstand, wir hatten bei den Wintertests großen Rückstand. Der löst sich nicht in Luft auf."

Teamchef Arrivabene sieht ein Teilziel seiner mittlerweile bescheidenden Prognose erreicht: "Wir wollten zwei Siege, jetzt haben wir einen." Der Coup von Sepang jedoch war eine sportliche Kampfansage an Mercedes: "Um das Rennen auf Hessisch zusammenzufassen: 'Wir ham' sie feddisch gemacht.'"

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