"Geistesgestörte": Verschwörungstheorien begleiten Mercedes

, 03.05.2016

Lewis Hamilton zeigt Verständnis für seine Fans, Toto Wolff und Niki Lauda schützen das Team aber vor den beleidigenden Kommentaren aus Twitter & Co.

Laut Zwischenstand unseres aktuellen Uservotings glaubt jeder dritte Formel-1-Fan, dass bei Mercedes momentan nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Dass Nico Rosberg 2016 plötzlich der Seriensieger ist und Lewis Hamilton vom Technikpech verfolgt wird, ist für viele Zuschauer zu Hause, die ihre Informationen aus Fernseher und Internet beziehen, nicht nachvollziehbar. Also werden (wie das im echten Leben auch so oft der Fall ist, man denke nur an die Mondlandung oder 9/11) Verschwörungstheorien gesponnen, die mit der Realität oft nichts zu tun haben.

Unsere Redaktion erreichte am Sonntag nach dem Rennen in Sotschi eine große Menge an Zuschriften, in denen bewusste Sabotage im Mercedes-Team vermutet wird. Rosberg soll dieses Jahr offenbar um jeden Preis zum Weltmeister gemacht werden, unterstellen viele Fans der Mercedes-Teamführung um Toto Wolff und Niki Lauda. Und auch der TV-Sender Sky berichtete in seiner Live-Übertragung von dutzenden Zuschriften zu diesem Thema.

Auf die Vorwürfe der bewussten Sabotage überhaupt eingehen zu müssen, findet Wolff absurd: "Ich nehme Menschen nicht ernst, die mit dem Laptop auf der Brust im Bett liegen und beleidigende Nachrichten schreiben. Und ich gehe sicher nicht auf jeden Geistesgestörten ein, der irgendeine Twitter-Meldung schickt. Einige beleidigen das Team und die Mitglieder des Teams. Das lasse ich sicher nicht zu", stellt der Mercedes-Sportchef klar.

2015 waren Vorwürfe genau andersrum

Das heiße allerdings nicht, dass man konstruktive Kritik generell ablehne: "Wir nehmen jeden rationalen und wahren Kommentar sehr ernst, wir nehmen uns Kritik durchaus zu Herzen. Wenn wir Mist bauen, sind wir die Ersten, die aufstehen und zugeben, dass wir nicht unser Bestes geleistet haben. In den vergangenen Wochen haben wir einige Fehler gemacht. Die tun uns aber selbst mehr weh als jedem anderen", so Wolff.

Dass jetzt ausgerechnet Hamilton sabotiert werden soll, obwohl Mercedes in den vergangenen beiden Jahren aus der gleichen Ecke oft unterstellt wurde, man bevorzuge Hamilton absichtlich und sabotiere Rosberg, mutet merkwürdig an. "Das Letzte, was wir wollen, ist, Lewis zu bestrafen! Er ist unser Weltmeister, er ist ein großartiger Markenbotschafter und teamintern eine sehr liebenswürdige Person", unterstreicht der Mercedes-Sportchef.

"Wir fühlen uns schrecklich darüber, dass er momentan nicht sein Bestes abrufen kann, weil wir ihn im Stich gelassen haben", sagt er. "Wir haben Himmel und Erde in Bewegung gesetzt, um über Nacht Teile nach Sotschi einzufliegen. Die Motorenjungs haben um 2:00 Uhr morgens zu arbeiten begonnen, als die Teile da waren, und die Chassisjungs haben um 5:00 Uhr angefangen, um die Teile im Auto zu installieren. Alles nur, weil Lewis so wichtig für uns ist!"

Wechsel der Mechaniker an allem schuld?

Eine abgeschwächte Form der Verschwörungstheorie besagt, dass Hamilton zwar nicht absichtlich sabotiert werde, aber der Tausch der Mechanikercrews die Ursache dafür ist, dass die Pannen plötzlich nicht mehr am 6er-, sondern am 44er-Auto auftreten. Aber nicht einmal Hamilton selbst hält das für die Ursache seiner Pechsträhne: "Ich kann den Fans versichern, dass die Mechaniker fantastische Arbeit leisten und es nicht ihr Fehler ist."

Lauda findet dafür deutlichere Worte: "Das ist Bullshit! Ich hasse dieses Gerede, denn wir haben 1.100 Mitarbeiter, die alle ihr Bestes für beide Autos geben. Sonst hätten wir es nicht so weit gebracht." Und Wolff ergänzt: "Beide Crews leisten fantastische Arbeit. Wir haben den Chefmechaniker und einige Mechaniker am Auto gewechselt, aber das hat nichts damit zu tun. Es ist einfach ein unglücklicher Lauf."

Ein Wechsel der Crews sei seiner Meinung nach "nicht ungewöhnlich", denn: "Eines Tages könnten die Chefmechaniker in eine höhergestellte Position wechseln, aber dafür brauchen sie mehr Erfahrung." Und man wollte auf diese Weise auch Grüppchenbildung innerhalb des Teams vermeiden, indem bestehende Strukturen zerschlagen werden - weil starre Strukturen auf Dauer oftmals dazu führen, dass Dynamik verloren geht.

Tonalität der Kommentare ist beleidigend

Aber Mercedes ärgert sich nicht grundsätzlich über die Userkommentare, sondern vielmehr über deren Tonalität - ein Phänomen, das im gesamtgesellschaftlichen Kontext auch außerhalb der Formel 1 heiß diskutiert wird. "Einige der Kommentare sind unentschuldbar, unfair und beleidigend, und zwar ohne jeden Grund. Wenn unsere Jungs solche Kommentare lesen, nehmen sie es vielleicht persönlich. Daher nehme ich sie ganz klar in Schutz", sagt Wolff.

Hamilton zeigt für die Kommentare seiner Fans aber Verständnis: "Den Fans, die so etwas schreiben, tut das genauso weh wie mir. Wir verlieren und gewinnen zusammen. Sie empfinden den gleichen Schmerz und die gleichen Emotionen wie ich, weil wir auf diese Weise verbunden sind." Gleichzeitig kann er zumindest im Ansatz nachvollziehen, wo die Verschwörungstheorien herkommen.

Denn: "Ich hatte, seit ich bei diesem Team bin, eine Mechanikercrew. Die wurde ohne besonderen Grund gewechselt", sagt er. "Mit den Jungs, die zu mir gekommen sind, haben wir jetzt einige schlechte Erfahrungen gemacht. Ich kann mir vorstellen, wie sehr sie den Druck spüren, aber all diese Dinge haben nichts mit ihnen zu tun. Sie leisten fantastische Arbeit."

Hamilton will alle Berichte selbst lesen

Außerdem möchte Hamilton aufgrund der Häufung der Defekte von nun an sicherstellen, höchstpersönlich alle technischen Abläufe zu kontrollieren. Etwa weil er skeptisch ist? "Ich habe das Team gebeten, in alle Prozesse eingebunden zu werden", verrät der dreimalige Weltmeister. "Nach Schanghai bekam ich zum Beispiel keine E-Mail mit dem Bericht. Nächste Woche werde ich sicherstellen, dass ich alle Informationen erhalte."

Auch für Lauda hat das Thema höchste Priorität: "Ich fliege jetzt extra nach England, um zur Motorabteilung zu gehen und mir genau analysieren zu lassen, was in der Folge jetzt passiert ist. Dass der Lewis zweimal diesen Generator (die MGU-H; Anm. d. Red.) auf der heißen Seite des Motors verloren hat. Das ist ein technischer Grund, der muss jetzt gefunden werden. Und dann wird's besser weitergehen", kündigt der Österreicher an.

"Pech und Glück", sagt Lauda, "gibt es in meinem Leben überhaupt nicht. Mich macht wahnsinnig, dass er zweimal hintereinander den gleichen Schaden am Motor hat. Im heißen Generator ist eine Spule drin, die überhitzt und einen Kurzschluss bekommen hat. Mit denen fehlen dir ruckzuck 150 PS. Warum das eingetreten ist, ist für mich nicht nachvollziehbar." Wolff ergänzt nur: "Wir gehen mit Chassis und Motor ans Limit. Darum gewinnen wir Rennen. Aber wenn du die Grenzen suchst, findest du sie manchmal halt auch..."

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