Benzingeruch liegt in der Luft und selten klingen Vierzylinder-Turbomotoren so rassig, dass die Haare auf den Armen zu Berge stehen. Ich stehe mitten in der Boxengasse der Hochgeschwindigkeits-Rennstrecke von Monza, während auf der Start-Ziel-Geraden die Teilnehmer der Tourenwagen-Weltmeisterschaft (WTCC) vorbeischießen und die Mechaniker bei anderen Fahrzeugen in den Boxen eifrig an den Abstimmungen feilen. Es sind die Testtage der WTCC vor dem ersten großen Rennen der Saison am 9. April 2017.
© Foto: Honda Pro Racing / David Noels
Starke Teams und ein ergreifender Sound
Die schnellste Rennrunde auf dem 5,793 Kilometer langen Kurs von Monza fährt am ersten Testtag mit 1:52,888 Minuten der Brite Robert Huff, der für das deutsche Team Münnich Motorsport in einem Citroën C-Elysée WTCC startet und nach seinem Weltmeistertitel 2012 als heißer Anwärter für den Gesamtsieg 2017 gilt. Doch die Konkurrenz ist groß: Das Werksteam von Honda geht mit drei Civic WTCC an den Start und holte bereits 2013 den Titel in der Konstrukteurswertung. Ebenso am Start sind drei Volvo S60 Polestar TC1 - ebenfalls ein Werksteam. Dazu kommen mehrere private Teams, die auf den Honda Civic WTCC (1 Auto), den Citroën C-Elysée WTCC (4 Autos), den Chevrolet RML Cruze TC1 (2 Autos) und den Lada Vesta WTCC (1 Auto) setzen.
Als echte Hingucker erweisen sich neben den keilförmigen Honda Civic WTCC die blau lackierten Volvo S60 Polestar TC1, die zudem durch ihren ergreifenden Sound die an der Rennstrecke Anwesenden in ihren Bann ziehen. Und der Lada Vesta WTCC sieht so umwerfend gut aus, dass man ihn gar nicht als Lada zuordnen würde. Doch das Logo auf der Front stammt tatsächlich von Lada.
Spannende Frage: Spielt Honda mit offenen Karten?
Der Aufwand, den die Hersteller betreiben, ist immens. Beispiel Honda: Nicht weniger als 32 Personen umfasst die Einsatzcrew in der Box während eines Rennens. Dazu gehören 15 Mechaniker, 3 Renn-Ingenieure, 3 Daten-Ingenieure, 4 Motorentechniker, 1 Team-Manager, 1 Physiotherapeut, 3 Mechaniker für die Vormontage, 1 Technischer Direktor und 1 Team-Chef.
© Foto: Honda Pro Racing / David Noels
Damit gab sich Honda nicht zufrieden und setzt auf einen umfassend überarbeiteten Civic WTCC, den die Macher grundlegend in puncto Aerodynamik und Motor überarbeiteten und zudem mechanische Weiterentwicklungen spendierten. Für das Honda-Werksteam an den Start gehen der ehemalige Formel 1-Rennfahrer Tiago Monteiro aus Portugal, Norbert Michelisz aus Ungarn und der Japaner Ryo Michigami, der erstmals als Vollzeit-Rennfahrer in einem WTC-Werksteam fährt.
Doch am ersten Testtag der WTCC stehen die drei Civic WTCC die meiste Zeit in der Box, fahren nur kurze Runden - und immer wieder legen die Mechaniker und Ingenieure eifrig Hand an, tauschen die Pedalerie aus, passen diese an den Fahrer neu an, werten Daten aus, stellen die Spur neu ein und vieles mehr. Es ist spannend, den Mechanikern in der Box über die Schulter zu gucken und hautnah dabei sein zu dürfen. Die Fahrzeuge müssen übrigens, inklusive Fahrer, aber ohne Sprit, mindestens 1.100 Kilogramm wiegen.
Am Tagesende erzielten die Honda-Werksfahrer Norbert Michelisz und Tiago Monteiro nur die Positionen 11 und 12 mit mehr als drei Sekunden Rückstand auf Robert Huff. Der japanische Honda-Werksfahrer kommt mit einem Rückstand von knapp über 2 Sekunden auf Huff auf Rang 9.
© Foto: Honda Pro Racing / David Noels
Das Geheimnis ist gelüftet!
Der 1,6 Liter große Vierzylinder-Turbo, ein eigens für den Honda Civic WTCC entwickelter Rennmotor, leistet rund 380 PS - das geben zumindest die Japaner an. Doch beim Abendessen verrät uns Norbert Michelisz, dass der Rennwagen noch nicht mit voller Leistung fuhr. Das emsige Feilen und Testen lohnte sich: Am zweiten Testtag zur Vorbereitung auf die Tourenwagen-WM fehlen den Honda-Werkfahrern Tiago Monteiro und Norbert Michelisz auf den Plätzen 4 und 5 noch etwas mehr als eine Sekunde auf Robert Huff. Bei Ryo Michigami sind es weiterhin rund 2 Sekunden Rückstand.
Umso spannender wird das Auftaktrennen in Marokko, bei dem Honda sicherlich keine Leistung mehr zurückhalten wird. Tiago Monteiro ist zuversichtlich: „Durch die im Winter erfolgten Entwicklungen am Civic bin ich zuversichtlich, dass wir zu den Titelkandidaten gehören werden.“
Das ist die Tourenwagen-Weltmeisterschaft für Honda
Der Rennsport stellt bei Honda ein wesentliches Element der Identität dar. Ende der 1950er-Jahre nahm Honda erstmalig an der Isle of Man TT und in den 1960er-Jahren an der Formel 1 teil. Die Tourenwagen-Weltmeisterschaft bietet Honda die Plattform, um zu demonstrieren, dass Honda eine Größe im Rennsport ist.
Die WTCC ist eine internationale, von der FIA unterstützte Tourenwagen-Meisterschaft. Zum Einsatz gelangen in modifizierter Form Autos aus Großserienproduktion mit mehr als vier Sitzen, die in jährlichen Stückzahlen von über 25.000 Exemplaren gefertigt werden. Zugelassen werden aktuell nur noch Fahrzeuge mit einem 1,6 Liter großen Turbo-Benziner und Direkteinspritzung. Die Renndistanz variiert zwischen 50 und 60 Kilometern. In diesem Jahr umfasst die komplette Rennsaison 10 Wochenenden (zwei Rennen je Wochenende), die in Marokko, Italien, Ungarn, Deutschland, Portugal, Argentinien, China, Japan, Macau und dem Finale in Katar stattfinden.