Fahrer steigen auf die Barrikaden: Wir haben euch gewarnt!

, 19.03.2016

Vettel führt Aufschrei der Fahrer gegen das neue Qualifying an - Alonso: "Sie tun, was sie wollen" - Nachteil für kleine Teams noch größer als bisher

Die völlig missglückte Premiere des neuen Qualifying-Formats in der Formel 1 schlägt weiter hohe Wellen. Während die Reaktionen der Teamchefs von "Griff ins Klo" (Niki Lauda) über "Mist" (Toto Wolff) bis hin zu "Wir sollten uns dafür entschuldigen" (Christian Horner) reichen, schaukelt sich inzwischen auch unter den Fahrern der Ärger auf.

Am lautesten poltert Sebastian Vettel, der "nicht verstehen" kann, "warum jetzt alle überrascht sind. Wir haben gesagt, dass genau das passieren wird. Da wurde uns gesagt, dass wir einmal abwarten sollen. Wir haben abgewartet - und es ist nicht besonders aufregend." Auch Polesetter Lewis Hamilton ärgert sich, dass die Ingenieure "genau das" vorhergesagt haben, aber offenbar niemand rechtzeitig auf die Idee kam, etwas dagegen zu unternehmen.

Besonders sauer stößt Vettel und Co. auf, dass die Fahrer bei einem Meeting mit FIA-Rennleiter Charlie Whiting in Barcelona ihre klare Ablehnung zum neuen Format zum Ausdruck gebracht haben. Aber: "Sie tun ja doch, was sie wollen", kritisiert Ex-Weltmeister Fernando Alonso. Und Williams-Routinier Felipe Massa legt nach: "Wir haben alle gesagt, dass wir dagegen sind. Aber wir hatten schon die Befürchtung, dass das zu nichts führen würde."

Vettel: "Wir tragen eine Verantwortung"

Hamilton versucht wenigstens, dem kreativen Ansatz der Strategiegruppe etwas Positives abzugewinnen: "Das Gute ist, dass sie etwas Neues probieren. Das ist eigentlich ein guter Schritt. Trial and Error nennt man das. Vielleicht sollten wir einfach zum alten Modus zurückkehren." Doch Vettel will die Verantwortlichen nicht so leicht davonkommen lassen: "Wir tragen eine Verantwortung. Wir dürfen nicht einfach irgendwas ausprobieren, wenn es eh schon kritisiert wird."

"Du kannst nicht einfach umdrehen und sagen: 'Sorry, das war falsch.' Wir müssen vernünftig sein und uns die richtigen Änderungen gründlich überlegen", so der viermalige Weltmeister. "Ich hatte sogar noch Zeit, mich vor der Pressekonferenz umzuziehen! Die Fans wollen am Ende sehen, wie Lewis, Nico, Kimi ans Limit gehen, wenn die Strecke am besten ist. Man kann vieles probieren, aber gewisse Dinge machen einfach keinen Sinn. Dieses Format gehört glaube ich dazu."

"Wenn man was Neues probieren will, dann sollte man sich vielleicht vorher überlegen, ob es Sinn macht", fordert Vettel. Im Interview mit dem 'ORF' wird er noch deutlicher: "So etwas ist ein Schas, wie man in Österreich sagt. Wir sind ja nicht im Versuchslabor!" Und die Peinlichkeit war mit dem Ende von Q3 nicht ausgestanden. Das übliche Pole-Foto musste etwa ausfallen, weil Hamilton schon unterwegs zur Pressekonferenz war, als der frisch umgezogene Vettel erst ankam...

Vettel: Indirekte Kritik an Mercedes-Chefs

Vettel deutet aber zwischen den Zeilen auch Unverständnis insbesondere für die Mercedes-Verantwortlichen Niki Lauda und Toto Wolff an, die plötzlich zu den lautesten Kritikern des neuen Formats gehören. Denn: "Irgendjemand muss ja dafür gestimmt haben, sonst hätten wir das Format nicht. Die, die jetzt groß reden, sind vielleicht auch dafür verantwortlich, dass wir dieses Qualifying überhaupt haben", vermutet der Ferrari-Pilot.

Sein Teamkollege Kimi Räikkönen hält sich aus der Diskussion weitgehend raus: "Es macht keinen Unterschied, ob wir Fahrer es mögen oder nicht. Wir haben es jetzt, also müssen wir damit arbeiten." So einfach will Massa die Entscheidungen der Verantwortlichen aber nicht hinnehmen: "Vielleicht hören sie das nächste Mal besser auf uns! Weil sie eigentlich nie zuhören, oder nur sehr selten. Wir Fahrer sollten mehr an einem Strang ziehen."

Ist der Aufschrei der Fahrer scheinheilig?

Williams-Technikchef Pat Symonds ist zwar auch kein Fan des neuen Formats und betont, von Anfang an Bedenken gehabt zu haben, findet aber den Aufschrei der Fahrer scheinheilig. Seiner Meinung nach hätten die meisten von ihnen die Konsequenzen im Vorhinein noch gar nicht durchschaut gehabt: "Bei allem Respekt für die Fahrer denke ich nicht, dass sie es wirklich bis zum Ende durchdacht haben."

Wie dem auch sei: Eigentlich war eine Idee des neuen Formats, mehr Spannung reinzubringen, die Mercedes-Dominanz durch den Faktor Zufall zu reduzieren. Dazu bekennt sich Formel-1-Boss Bernie Ecclestone ganz offen. Aber genau das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Denn während die kleinen Teams schon früh ihre frischen Reifen verballern müssen, um im Qualifying zu bleiben, können sich die Topstars nach einer Runde zurücklehnen - und Reifen für das Rennen sparen.

"Die kleinen Teams haben keine Chance. Man muss das nicht beschönigen", sagt Vettel und findet damit Zustimmung unter seinen Kollegen: "Das System bevorzugt die großen Teams", nickt Force-India-Fahrer Sergio Perez. Und McLarens Jenson Button, der dienstälteste Pilot im Feld, ergänzt: "Die Topteams nehmen in Q1 einen Reifensatz und ziehen sich dann zurück. Alle anderen müssen einen zweiten Satz investieren. Wir zum Beispiel auch."

Modus bevorzugt die großen Teams

"Wenn man weiter vorne ist, dann ist diese Art des Qualifyings noch besser für einen. Man kann sich die Reifen aufsparen", stimmt Massa zu. Er sieht die Reifenproblematik insbesondere in Q3: "Nur wenige hatten heute noch zwei Reifensätze - die meisten hatten sie schon verbraucht. Ich hatte zum Beispiel gar keine Reifen mehr. Wäre ich, warum auch immer, Zweiter gewesen, hätte ich keine frischen Reifen mehr gehabt." Was nicht im Sinne des Erfinders sein kann.

Sprich: Ein weiterer Satz Supersoft-Reifen wäre für diejenigen, die sich zu Beginn nicht den Luxus leisten konnten, Reifen zu sparen, sehr hilfreich gewesen. Aber die Reifenauswahl für Melbourne musste schon getroffen werden, als das neue Qualifying-Format noch gar nicht feststand. "Hätten wir die Regeln früher gewusst", wirft Massa ein, "dann hätten wir sicherlich mindestens einen weiteren Satz der Supersofts ausgewählt."

Daniel Ricciardo und Jolyon Palmer gehören zu den ganz wenigen Fahrern, die mit dem neuen Format einverstanden sind - aber selbst die beiden geben zu, dass das möglicherweise daran liegt, dass sie selbst keine Probleme damit hatten. Das frühzeitige Ende von Q3 fand aber niemand besonders glücklich. Damon Hill bringt die Stimmung auf den Punkt, wenn er sagt: "Lewis hätte ja sogar noch Zeit gehabt, die Session selbst abzuwinken..."

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