Rolly-Royce 102EX: Das experimentelle Elektro-Phantom

, 10.03.2011


Mit dem Rolls-Royce 102EX präsentieren die Briten als Experimental Car erstmals ein Elektro-Fahrzeug. So leise war wohl noch kein Rolls-Royce unterwegs. Doch eine Serienfertigung ist aktuell nicht geplant. Der 102EX, auch Phantom Experimental Electric (Phantom EE) genannt, fungiert als Versuchsträger zur Erforschung aktueller Technologien und ihrer Eignung in der Zukunft. Immerhin: Der elektrisierte Phantom braucht keine Kabel zum Aufladen und spurtet in unter 8 Sekunden auf Tempo 100. Dazu kommen neue Experimente im Interieur.


Bietet ein vollelektrischer Antrieb dem Kunden ein authentisches Rolls-Royce-Erlebnis und wie hoch ist die elektrische Reichweite der schweren Luxus-Limousine mit einer Batterieladung? Die Experimental Cars erproben neue Technologien und Aspekte, die für das künftige Rolls-Royce-Portfolio wichtig werden können. Im Gegensatz zu Konzeptfahrzeugen sind die Experimental Cars von Rolls-Royce immer voll funktionsfähige und fahrbereite Automobile, in denen echte Materialien wie Holz, Leder und Metall statt Ton oder Schaumstoff verwendet werden.

Antrieb: Der wohl größte Batteriesatz aller Automobile

Verpackt in den Phantom, ersetzten die Macher den 6,75 Liter großen V12-Benzinmotor mit 460 PS durch Lithium-Ionen-Batterien und zwei Elektromotoren, die im hinteren unteren Bereich montiert sind. Diese Motoren sind mit einem Eingang-Getriebe samt integriertem Differenzial verbunden. Jeder Motor mobilisiert eine Leistung von 145 kW/197 PS, womit der Phantom EE über eine maximale Leistung von 290 kW/394 PS und 800 Nm Drehmoment verfügt, das über einen großen Drehzahlbereich abrufbar ist.

Erste Tests mit dem 2.720 Kilogramm schweren Phantom EE ergaben eine Reichweite von bis zu 200 Kilometern. Der Sprint von 0 auf Tempo 100 wird mühelos in unter acht Sekunden bei durchgehend starkem Drehmoment absolviert (5,9 Sekunden im Serien-Phantom), die Höchstgeschwindigkeit ist bei 160 km/h elektronisch abgeregelt. Den Vortrieb genießen die Passagiere bei reichlich Platz: 5,840 Meter lang, 1,990 Meter breit und 1,638 Meter hoch, bietet der Phantom EE einen großen Radstand von 3,570 Metern, der den Insassen zugute kommt.

Diese Technologie wird zum ersten Mal im Segment GKL++ (Superluxusfahrzeuge mit einem Preis von mindestens 200.000 Euro) eingesetzt. Der Phantom EE besitzt wohl den größten Batteriesatz aller Automobile: Er erreicht 850 A, die bei 338 Volt Wechselstrom anliegen. Die Kapazität beträgt 71 kWh. Der Batteriesatz enthält große NCM-Zellen. NCM (Lithium-Nickel-Kobalt-Mangan-Oxid) ist eine Variation der Lithium-Ionen-Zelle, die besonders energetisch ist und eine hohe Leistungsdichte besitzt.

Der Batteriesatz des Phantom EE beinhaltet fünf Zellmodule: ein Zellenmodul mit 38 Zellen, eines mit 36 und drei kleinere mit 10, 8 und 4 Zellen, die unsymmetrisch angeordnet sind. Diese Einheit ähnelt der Form des ursprünglichen Motors und des Getriebes.

 

Variante 1: Das herkömmliche Laden per Kabel

Drei separate Ladeeinheiten (je 3 kW) sind mit der Batterie verbunden, welche die Ein-Phasen-Aufladung in 20 Stunden und die Drei-Phasen-Aufladung in 8 Stunden ermöglicht. Ein viertes Induktionsladegerät ist verbaut, um das kabellose Laden zu ermöglichen - eine Technik, die mit dem Phantom EE erprobt wird. Nach den Berechnungen arbeitet der Batteriesatz zuverlässig drei Jahre, wenn das Fahrzeug jeden Tag verwendet wird.


Zur Ladung dient eine fünfpolige Steckdose, die den normalen Tankmechanismus des Phantoms ersetzt. Die serienmäßige Tankklappe ersetzte Rolls-Royce durch eine durchsichtige Klappe, die das RR-Monogramm und das 102EX-Symbol zeigt. Das Fenster umrahmt dreifarbige LEDs, die den Ladezustand des Fahrzeugs anzeigen.

Nach dem Starten des Ladevorganges ist die Steckdose in blaues Licht getaucht, welches während des Ladens zu blinken beginnt. Nach vollständiger Ladung wird das Display grün und blinkt dann grün, wenn das Ladesystem abschaltet. Eine potenzielle Störung zeigt ein durchgängiges oder blinkendes Rotlicht an. Die Aufladung lässt sich durch einen Schalter unterbrechen, der sich neben der Steckdose befindet. Es besteht ferner die Möglichkeit, den Vorgang auch durch einen weiteren Schalter unter der Mittelkonsole zu steuern, zum Beispiel bei einer Aufladung per Induktion.

Ein Schlüsselmerkmal des Phantom EE ist die Lade- und Steuerungseinheit, welche sich unter der Mittelarmlehne befindet. Ein einzelner Schalter startet und unterbricht den Ladevorgang. Das Display selbst gibt das Bild einer Batterie wieder und wird von LEDs beleuchtet.

Wie bei der Anzeige an der Steckdose der Fahrzeugaußenseite, wechselt die Anzeige ihre Farbe entsprechend ihres Ladezustandes. Eine blau leuchtende Batterie symbolisiert, dass das Fahrzeug normal geladen wird, während ein pulsierendes Blau anzeigt, dass per Induktion geladen wird. Grün zeigt an, dass das Fahrzeug vollgeladen ist, während Rot die Versuchsingenieure über potenzielle Fehler informiert.

Variante 2: Aufladen der Batterien ohne Kabel

Einige Bedenken mit Blick auf Elektro-Fahrzeuge bezogen sich in der Vergangenheit auf die nicht ausreichende Infrastruktur zur Ladung der Batterien und das unkomfortable Hantieren mit Kabeln, die zwischen dem Fahrzeug und der Stromquelle benötigt wurden. Um Rolls-Royce-Besitzern eine mögliche Lösung des Problems zu präsentieren, wird am Phantom EE die Induktionsladung getestet. Diese ermöglicht das Wiederaufladen der Batterien ohne physische Verbindung - ein deutlicher Komfortgewinn für den Kunden und erster Hinweis auf das Potenzial eines Netzes von Induktionsladestationen.

 

Die Induktionsladung basiert auf zwei Elementen: ein Induktionsfeld im Boden, welches mit dem Stromnetz verbunden ist, und ein Induktionsfeld, das am Unterboden des Phantom EE am Batteriesatz angebracht ist. Elektromagnetische Wellen werden berührungsfrei über diese beiden Felder übertragen.


Das System weist zwischen Stromnetz und Batterie eine Effizienz von 90 Prozent auf und ist tolerant, was die Genauigkeit des Parkens über dem Induktionsfeld betrifft. Es ist nicht notwendig, den Transmitter und den Empfänger am Phantom exakt übereinander zu platzieren, um das Laden zu starten. Ladefelder können Strom über 400 Millimeter übertragen, während der Abstand der beiden Felder beim Phantom EE nur 150 Millimeter beträgt.

Das Übertragungsfeld konstruierten die Macher so, dass keine elektromagnetische Strahlung auf Umstehende wirkt. Der Aluminium-Space-Frame des Phantoms bietet zusätzlich einen hundertprozentigen Schutz für Fahrzeuginsassen, die während des Ladevorganges im Fahrzeug bleiben.

Exterieur-Design: Eine dezente Elektrifizierung

Der 102EX trägt die berühmten Markenzeichen des Rolls-Royce Phantom. Im Wesen ist er jedoch ein Experimental Car, das zurückhaltend auf sein elektrisches Antriebsaggregat verweist. Das Design arbeitet mit einer differenzierten Ästhetik; es experimentiert mit dem Innenraum und Ausstattungselementen, aber auch mit Materialien und Beleuchtung. Diese werden gerahmt durch funktionale Erwägungen für einen elektrisch angetriebenen Rolls-Royce.

Das Design-Team erhielt die Aufgabe, einen Außeneindruck für den Phantom EE zu schaffen, der ihn als einzigartiges Fahrzeug ausweist und ihn vom Serien-Phantom klar unterscheidet, ohne allerdings das Design zu offensichtlich zu verändern. Eine auf besondere Art changierende Farbe wurde entwickelt, die „Ceramic“-Nanopartikel enthält. Unter dem Mikroskop wirken diese wie Silberpartikel, sind zwischen 8.000 und 80.000 Mal dünner als ein Haar und in etwa 1.000 Mal kleiner als ein Partikel eines normalen Metallic-Lackes.

Insgesamt sind 16 Farbschichten aufgebracht, vier davon aus „Atlantic Chrome“. Der Lack ist schlicht beeindruckend und unterstreicht klare, fast schon ziselierte Linien. Die Außenfarbe erscheint wie von Tau benetzt. Der Effekt verstärkt sich, wenn sich die Lichtbedingungen ändern.

 

Die berühmte „Spirit of Ecstasy“ des Phantom EE überblickt den Kühlergrill oberhalb des roten Doppel-R-Emblems, welches sich auf allen Experimental Cars (EX) befindet. Die aus Makrolon statt rostfreiem Stahl hergestellte Kühlerfigur wird in blaues LED-Licht getaucht, was auf den elektrischen Antrieb unter der Motorhaube hinweist. Am 6. Februar 1911 wurde das Design der von Charles Sykes gezeichneten „Spirit of Ecstasy“ erstmals registriert, die damit kürzlich ihren 100. Geburtstag feierte.


Interieur: Neue Leder-Experimente

Der Phantom EE entfernt sich im Interieur von klassischen Holzfurnieren, die aktuell in einem großen Teil von Kundenfahrzeugen verbaut werden. Er ist mit einer markant gewobenen, aluminiumbedampften Folie ausgestattet, die das Fahrzeuginnere klar konturiert und einen Kontrast zum dunklen, natürlichen Leder darstellt. Wie beim Corinova-Leder ist das Ziel, die traditionelle Wahrnehmung darüber herauszufordern, was ein Rolls-Royce Interieur bestimmt.

Das neue Leder-Interieur des Phantom EE taufte Rolls-Royce auf den Namen „Seton Corinova“ und basiert auf einem experimentellen, pflanzlichen Gerbverfahren, das dem Leder noch mehr Individualität und den Sitzen, dem Boden und den Armlehnen noch mehr Tiefe verleiht. Der Prozess ist nur für bestimmte erdige Farbtöne einsetzbar - im Falle von Phantom EE ist es „Chestnut“ für die Sitzbezüge und „Quebracho Brown“ für andere Bereiche, wie etwa die Fußraum- und Kofferraumverkleidung, welche aus widerstandsfähigem Sattelleder gemacht sind.

Meist ist für Automobile produziertes Leder chromgegerbt. Das experimentelle Corinova-Leder unterscheidet sich davon, da es chromfrei ist. Das fängt bereits mit dem Einsatz von Glutardialehyden für die Vorbereitung der Färbung an. Ein Kastanienextrakt, nachhaltig in Südeuropa hergestellt und Tarapulver aus den gemahlenen Früchten des Tarabusches aus Südamerika kommen für die Färbung in der Trommel zum Einsatz.

Anzeigeelemente in „Atlantic Chrome“ spiegeln darüber hinaus die Exterieur-Farbe im Interieur wider. Die analogen Anzeigen unterstreichen den zeitlosen Charakter, der in jedem Phantom zu erleben ist. Andere Veränderungen passen das Design vorsichtig an: So wurden beispielsweise einige Anzeigedetails leicht modifiziert, um Informationen zu bieten, die für den Fahrer eines elektrischen Fahrzeuges wichtig sind. So ersetzte Rolls-Royce die Tankanzeige durch eine Batterieladezustandsanzeige.

Eine der auffallendsten Informationen jedes Rolls-Royce Phantom ist die „Power Reserve“-Anzeige, die sich neben der Geschwindigkeitsanzeige befindet. Diese verrät, wie viel der Leistung des V12-Motors dem Fahrer noch zur Verfügung steht. Phantom EE stellt dieses Konzept auf die nächste Stufe: Die Anzeige ist um ein Rückgewinnungssymbol erweitert, das die Anzeige jenseits der 100 Prozent-Marke des Standard-Phantoms führt. Abhängig vom Vortrieb wird der Grad der Wiederaufladung der Batterien dargestellt, während sich das Fahrzeug bewegt.

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