Mit kalten Reifen aus der Box: Auf den Fahrer kommt es an

, 20.04.2017

Die neuen Reifen und das Heizdecken-Verbot in der DTM 2017 werden für Spannung und verschiedene Strategien sorgen: "Es werden Fehler passieren"

Mehr Action und Spannung auf der Rennstrecke, um die DTM wieder attraktiver für die Fans und Zuschauer zu machen. Das ist der Plan der DTM-Verantwortlichen und dem neuen ITR-Chef Gerhard Berger. Durch die Einführung neuer Regularien zur Saison 2017, die in zwei Wochen in Hockenheim beginnt, wurde der erste Schritt in diese Richtung bereits gemacht. Mehr Motorleistung, weniger Abtrieb, Boxenstopps in beiden Rennen und der Pit View, bei dem der Zuschauer einen Blick in die Garagen der Teams werfen kann.

Nicht zu vergessen die neuen, weicheren Reifen von Hankook und das Verbot der Heizdecken für das schwarze Gold. Doch können die Räder eine tragende Rolle spielen, wenn es um die Spannung und Unterhaltung bei den Rennen geht? Ja, glauben die Fahrer der DTM 2017. Wenn die Piloten zum Boxenstopp kommen und sich neue Reifen abholen, werden diese zunächst kalt sein und nicht die Temperatur haben, die sie benötigen, um die optimale Leistung zu bringen.

"Es wird wichtig, überhaupt von der Box wegzukommen. Die Autos stehen gefühlt zwei Sekunden bevor sie sich überhaupt bewegen, weil der Reifen so kalt ist. Das macht es sehr anspruchsvoll", spricht BMW-RMG-Fahrer Timo Glock mit 'Motorsport-Total.com' über seine ersten Eindrücke über die neuen Reifen.

Brennpunkt Boxenausfahrt

"So eine Boxenausfahrt wird auf einmal auch eine Herausforderung. In Hockenheim gleich um die Kurve rum mit kalten Reifen oder in Spielberg da hoch bremsen, da ist die Leitplanke schön nah dran. Da sind schon ein paar Dinge dabei, da kann es passieren, dass es einen Crash bei der Ausfahrt aus der Box oder auf der ersten Runde gibt", ergänzt der ehemalige Formel-1-Pilot.

Sein BMW-Kollege Bruno Spengler freut sich, dass zur neuen Saison auch das Boxenstoppfenster, in dem in den vergangenen Jahren der Reifenwechsel absolviert werden musste, wegfällt. Das bietet den Teams mehr Raum zum Taktieren: "Beim Rausfahren aus der Box mit kalten Rädern wird die Strategie eine Rolle spielen. Es wird einiges passieren und viel Action geben wenn zwei oder drei Autos mit kalten Reifen aus der Box rausfahren und jeder vorne sein will. Das wird sehr interessant. Die Teams können mehr taktieren, weil alles frei ist im Rennen mehr oder weniger. Deshalb freue ich mich drauf."

"Stell dir vor ein Fahrer, der direkt aus der Box kommt und dessen Reifen noch kalt sind, kämpft gegen einen Fahrer, dessen Reifen bereits die optimale Temperatur haben. Da liegt der Performance-Unterschied bei rund drei bis vier Sekunden. Das wird interessant", sagt Mercedes-Pilot Paul di Resta.

Overcut statt Undercut

Fingerspitzengefühl und der berühmte "Popometer" der Piloten seien wieder mehr gefragt, weiß Augusto Farfus: "Der Fahrer wird einen großen Unterschied machen, denn diese Reifen sind anders. Wenn du von Anfang an attackierst, ist der Reifen nach fünf Runden kaputt." Es werde eine große Herausforderung zu entscheiden, "wie viel pushe ich oder schone ich den Reifen", so der Brasilianer weiter. Auch die Taktik und der Zeitpunkt des Boxenstopps wird sich ändern, ist Farfus sicher: "Den Undercut wird es nicht mehr so oft geben."

"Jetzt wird es eine Tendenz zum Overcut geben, das heißt, alle bleiben länger draußen", bestätigt Audi-Pilot Mattias Ekström. Bei allen Strategieüberlegen darf auch der Faktor Wetter nicht außer Acht gelassen werden, warnt der Schwede: "Ich glaube, viel hängt vom Wetter ab. Bei kühleren Temperaturen bauen die Reifen nicht so schnell ab."

Der amtierende Rallycross-Weltmeister mag schwierige und rutschige Bedingungen: "Ich hoffe, dass wir in diesem Sommer immer 35 Grad haben, weil dann werden die Reifen mehr abbauen. Dann glaube ich, wird es interessant. An einem kalten Frühlingstag kommen sie nicht so in die Gänge, denn dafür sind sie immer noch zu hart."

Wittmann: "Fahren wie auf Eis"

"Wenn du den Reifenwechsel so planst, dass du im Verkehr rauskommst, bist du verloren. Es kann dich viel Zeit kosten", ergänzt Glock. "Die Frage ist, was passiert, wenn es um die 30 Grad hat und die Reifen in der Sonne stehen. Dann kommen sie schneller zum Arbeiten und dann kann es schon wieder entspannter aussehen. Aber das erste Rennen in Hockenheim oder wenn es mal regnet und wieder abtrocknet, das wird spannend." In der F1 und GP2-Serie sei er mit kalten Rädern immer gut zurecht gekommen. Doch das heißt nicht zwangsläufig, dass es ihm in der DTM ähnlich ergeht, denn "hier ist das Auto schwerer", so Glock.

"Es wird eine Herausforderung, weil du eben nicht mehr aus der Box kommst und direkt schneller mit dem neuen Reifen fahren kannst, sondern auf jeden Fall eine Runde, vielleicht sogar eineinhalb brauchst, bis der Reifen auf Temperatur ist und du das Grip-Level des Reifens erreicht hast", erklärt Marco Wittmann. "Die ersten zwei, drei Kurven fährst du wie auf Eis. Das wird interessant, gerade, wenn du im Rennen dann im Zweikampf bist oder vielleicht deine Position verteidigen musst", ergänzt der amtierende DTM-Meister. "Ich glaube, dass der Undercut so nicht mehr funktionieren wird."

"Du musst natürlich auch auf den Reifenverschleiß achten, was auf die Distanz das größere Kriterium ist, als vielleicht in der ersten Runde den Reifen schneller auf Temperatur zu bringen", fügt er hinzu. "Als Fahrer musst du dich so schnell wie möglich an den kalten Reifen anpassen, um ihn an den Grenzbereich zu bekommen. Du darfst aber natürlich nicht drüber hinaus schießen. Weil so ein kalter Reifen, der fängt auch mal ganz schnell zu blockieren an beim Bremsen. Da kannst du auch mal ganz schnell in die Wiese oder ins Kiesbett fahren. Das wird knifflig. Und da den richtigen Grenzwert zu finden ist die Kunst."

Farfus: "Es gibt mehr Würze"

BMW-RBM-Pilot Maxime Martin freut sich darauf, dass das Geschick des Fahrers in den Vordergrund rückt: "Es wird ein großer Unterschied sein zu dem sein, was wir gewohnt sind. Mit kalten Reifen raus aus der Box, das wird spannend. Aber das gehört zur Show und das brauchen wir. Der Fahrer kann in schwierigen Situationen den Unterschied machen, das ist gut. Es wird unterschiedliche Strategien geben und gute Überholmanöver."

"Wenn du mit kalten Reifen rausfährst, kannst du Zeit gewinnen oder verlieren. Es wird hart, aber interessant. Es wird auch einfach sein, Fehler zu machen. Ich freue mich zu sehen, was passiert", ergänzt der Belgier. Farfus fügt hinzu: "Es gibt mehr Würze und eine bessere Show. Das wollen wir!"

Es wird "eineinhalb bis zwei Runden" dauern, bis die Reifen die optimale Temperatur haben, sagt Tom Blomqvist. "Aber das kommt auf die Außentemperatur an. Wenn es kalt ist, dann dauert es länger." Die Strategie wird mehr zum Tragen kommen, so der Brite weiter. Mike Rockenfeller stimmt seinem DTM-Fahrerkollegen zu: "Es kommt auch auf die Strecke an, wie schnell der Reifen da ist. Und wie warm es ist, das wird vieles verändern."

Die Fahrer müssen noch üben...

In Sachen Strategie haben die Teams und Fahrer nun freie Hand, weil es kein Boxenstoppfenster mehr gibt. "Im Prinzip haben wir freie Auswahl, wann wir stoppen. Das finde ich sehr gut. Dadurch wird es Variationen geben in den Strategien." Gerade auf Rennstrecken, die wenig Grip bieten, ist das Fahren mit kalten Reifen kritisch. "Dann werden die Out-Runden echt knifflig", sagt der DTM-Meister von 2013. "Da versucht jeder, am Limit zu fahren, und dabei werden wahrscheinlich auch Fehler passieren. Das wird interessanter für die Zuschauer, weil mehr Fehlerpotenzial da ist."

Der Reifenabbau sei zwar ein Thema, doch kein so großer Faktor wie in anderen Rennserien, sagt Rockenfeller: "Der Reifen baut ab, das spürst du. Aber er baut nicht granatenmäßig ab wie ein Pirelli damals in der Formel 1. Jeder Fahrer wird versuchen, so konstant und gut wie möglich damit zu fahren."

Abt-Pilot Nico Müller sieht wie seine Fahrerkollegen auch in den Reifen ein potenzielle Quelle für Fahrfehler: "Wenn man mit kalten Reifen rausfährt, da braucht es schon ein bisschen Zeit, bis er richtig funktioniert. Das ist sicherlich auch ein Element, dass es nochmals spannend und es uns ein bisschen schwieriger macht." Der Schweizer sagt, dass das Thema Reifen für alle Fahrer in gewisser Weise noch Neuland ist: "Wir sind noch alle am üben und herausfinden, wie wir rausfahren und die Reifen möglichst schnell auf Temperatur bekommen. Vielleicht werden wir auch da Unterschiede sehen, dass der eine oder andere das besser hinkriegt."

"Es ist sehr knifflig: Man rutscht gewaltig und muss den Reifen schnell zum Arbeiten bringen. Deshalb werden interessante Zweikämpfe stattfinden", erklärt Maro Engel. "Der Undercut muss nicht mehr funktionieren. Es kann auch in die andere Richtung gehen. Länger draußen bleiben ist gleich besser. Aber das bleibt abzuwarten."

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