Abergläubischer Rosberg: Videotelefonie, bloß kein high-five

, 10.11.2016

Lachen, witzige Geschichten erzählen und abends im Hotelzimmer mit den Liebsten plaudern: Mit Ruhe, Gelassenheit und Erfahrung will Rosberg den WM-Titel einfahren

Ganz entspannt und gelassen zum ersten Formel-1-Titel. Das ist das Credo Nico Rosbergs, wenn er beim Brasilien-Grand-Prix am Wochenende den zweiten Matchball im Duell mit Erzrivale Lewis Hamilton auf dem Schläger hat. Statt über die Chance, die Krone mit einem Rennsieg in trockene Tücher zu packen, nachzudenken, macht der Deutsche alles wie immer. Vom Videotelefonat mit den Liebsten bis zum Sportprogramm nach den Presseterminen. "Ich bin abergläubisch", sagt Rosberg.

Zum Beispiel klatscht er mit Physiotherapeut Daniel Schlösser in der Startaufstellung nicht mehr ab. "Das ging das letzte Mal in die Hose", rümpft Rosberg die Nase. Andere Rituale haben weniger mit Fortuna als mit fixer Routine zu tun. Sie sind ein Mechanismus, der Intensität der Formel 1 und der zum Zerreißen gespannten Paddock-Luft zu entkommen. "Mir ist wichtig, dass alles strukturiert abläuft und ich auch meine Phasen habe, in denen ich für mich sein kann. Sonst qualmt's da oben."

Diese Augenblicke gibt es selbst in der Hektik eines Grand-Prix-Wochenendes. Am Donnerstag, dem Medientag, ist Rosberg in der Regel um 18 Uhr Ortszeit auf seinem Hotelzimmer und schiebt eine entspannte Trainingseinheit ein, um den Kreislauf anzukurbeln und sich aktiv zu regenerieren. "Ein bisschen lachen, ein paar witzige Geschichten", meint der Deutsche über das Abendessen mit seiner Entourage, zu der nicht die Mercedes-Bosse Toto Wolff oder und Niki Lauda zählen.

Titelkampf-Erfahrung macht Nico Rosberg jetzt noch stärker

An seiner Seite sind in diesen sehr privaten Stunden meist nur Physiotherapeut Schlösser und sein persönlicher Pressemann Georg Nolte - wenn seine Ehefrau Vivien nicht mitreist. Sie sieht Rosberg dennoch. Und zwar auf seinem Handy-Bildschirm. "Nochmal Facetime, das macht Freude", erklärt er über Videotelefonate vor dem Zubettgehen. Mit dabei ist Tochter Alaia: "Ich bekomme schon einen Kuss", erzählt er stolz. "Das Handy wird dann genommen und ich liege schonmal flach."

Doch Rosbergs mentale Ritterrüstung ist eine, die Risse bekommen kann. Das weiß er und er hat es akzeptiert: "Wie bei allen im Leben: Im privaten Bericht kann immer etwas dazwischenkommen." Die Antwort ist nicht, diesen Dingen auszuweichen. Rosberg will sie beiseite schieben. Er versuche, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: "Das ist auch Erfahrung. Ich weiß genau, wie ich äußere Einflüsse oder negative Erlebnisse nicht an mich heranlasse." Macht ihn das 2016 noch stärker?

Angstfaktor Technik: Rosberg will nicht mehr wissen, als er muss

Rosberg ist davon überzeugt: "Es ist viel gelassener, von mir her. Das muss man in diesem Sport lernen. Sonst kann man keinen Erfolg haben", vergleicht er seine Situation mit den verlorenen Hamilton-Duellen der Jahre 2014 und 2015, aus denen er gelernt haben will. Immer wieder, fast schon gebetsmühlenartig, beschwört Rosberg seine Konzentration auf das Wesentliche. Das Wetter, die Technik oder die Statistik des Stallrivalen - alles prallt von ihm ab wie von einer Gummiwand.

"Es macht keinen Unterschied, weil ich mich auf dieser Strecke im Regen immer sehr wohlgefühlt habe", zuckt er mit den Schultern, wenn es um ein mögliches Rennen im Nassen geht, was als Spezialität Hamiltons bekannt ist. Ähnlich kalt lässt ihn die Tatsache, dass der Silberpfeil zuletzt nicht immer zuverlässig war: "Da habe ich null Einfluss. Also bringt es null, sich damit zu beschäftigen. Ich weiß die Hauptdetails." Mehr nicht, aber das reicht auch. Bloß nicht qualmen.

Und bloß nicht an eine WM-Party in Sao Paulo denken. Rosberg fokussiert seine Energie auf den Sieg und nicht darauf, was danach kommt. Wenn er es nicht vermeiden kann, Gedanken an den Triumph zu verschwenden, sollen sie Energie liefern. "Von meiner Einstellung her ist es ein Rennen wie jedes andere. Gleichzeitig ist es mega, dass in der Situation zu sein, um den Titel zu kämpfen."

Für die Tatsache, dass Hamilton nie in Brasilien gewonnen hat, gilt das Gleiche: "Wir fangen bei Null an. Die Vergangenheit macht keinen Unterschied. Aber so wie ich ein schönes Gefühl habe, hat er vielleicht ein paar extra..." Rosberg spricht das Wort "Zweifel" nicht aus. Es ist aus seinem Vokabular gestrichen. Das bekommen auch die Journalisten zu spüren, die sich fragen, ob 2016 in Anbetracht der Reglement-Novelle im Winter seine letzte Chance ist, Formel-1-Champion zu werden. "Das höre ich jetzt jedes Jahr! Das habe ich schon 2014 gehört! Woher soll ich die Antwort wissen?", geht Rosberg zum Angriff über. "Aber ich glaube: Nein! Wir haben so ein starkes Team, dass wir nächstes Jahr wieder stark sein werden." Und er hat wieder ein bisschen mehr Erfahrung.

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