Bianchi und Schumacher: Abschied, Hoffnung und Normalität

, 09.12.2015

Schicksalsschläge der Saison 2015: Mit Jules Bianchi trug die Formel 1 eines ihrer größten Talente zu Grabe, während Michael Schumacher um seine Genesung kämpft

Es war ein heißer Sommertag im malerischen Nizza, aber die Cote d'Azur trug Schwarz. Durch die Gassen der Altstadt schallte eine instrumentale Version des Eagles-Klassikers "Hotel California", doch Tanzen wollte niemand. Es war der 21. Juli 2015. Der Tag, an dem die Stadt ihren schnellsten Sohn unter den Augen der Formel-1-Stars zu Grabe trug. Die Motorsport-Welt nahm bewegend Abschied von einem ihrer größten Talente, dem eine rosige Zukunft blühte. Jules Bianchi fand seine letzte Ruhe.

Der Franzose war der erste Formel-1-Renntote seit 21 Jahren, als Ayrton Senna in Imola sein Leben ließ. Doch es war auch das Ende einer Leidenszeit. Neun Monate hatte Bianchi nach seinem Unfall in Suzuka, bei dem er mit seinem Marussia-Boliden bei Nässe und einbrechender Dunkelheit aus noch immer bezweifelter Ursache von der Fahrbahn abkam und mit dem Kopf unter einen Radlader geriet, mit Hirnverletzungen im Koma gelegen. Den Kampf gegen den Tod verlor er am 17. Juli in Nizza.

Schon die Monate zuvor waren für seine Familie ein stetiges Auf und Ab. Immer wieder gab es Meldungen von einer vermeintlicher Verbesserung des Bianchi-Zustandes, aber nie von offizieller Seite bestätigte, positive Neuigkeiten. Vater Philippe, der seinen Sohn aus Japan so schnell als möglich an die heimische Cote d'Azur geholt hatte, sprach im März davon, vor "dem schrecklichen Anruf" aus dem Hospital zu zittern. Als er kam, sei der Schmerz über den Verlust "unbeschreiblich" gewesen.

Zwischen Trauer, Aufarbeitung und Gerechtigkeit

Die Formel 1 würdigte ihr verlorenes Toptalent vor dem Start zum Ungarn-Grand-Prix - wenige Tage nach der Beisetzung, bei der viele Piloten Sargträger waren - mit einer Schweigeminute, bei der sich alle Piloten in einem Kreis um den Bianchi-Helm versammelten und die Arme umeinander legten. Bei einigen flossen Tränen. Mittendrin: Die von Formel-1-Boss Bernie Ecclestone per Privatjet eingeflogene Familie Bianchis. Die FIA kündigte an, die Startnummer 17 nie wieder zu vergeben.

Die Familie des erst 25-jährigen Franzosen führte und führt noch einen ganz anderen Kampf. Die Eltern wollen weiter beweisen, dass die Formel-1-Verantwortlichen eine Mitschuld am Tod ihres Sohnes tragen und geben wenig auf eine interne FIA-Untersuchung, die von Eigenverschulden und zu viel Tempo in einer Gelbphase sprach. "Sehr gute Leute verteidigen jetzt Jules' Interessen. Ist eines Tages ein Verantwortlicher ausgemacht, wird er bezahlen", drohte Bianchi bereits im April im 'Nice-Matin'.

Zurückbringen wird ihm das weder den verlorenen Sohn noch die Bilderbuch-Karriere, die dem aufstrebenden Youngster geblüht hätte. Als Ferrari-Junior war Bianchi designierter Nachfolger Kimi Räikkönens, was der damalige Präsident Luca di Montezemolo nach der Todesmeldung offenbarte. In die Herzen der Fans und auf die Zettel der Teamchefs fuhr sich der ehemalige Formel-3-Europameister mit seinem Auftritt beim Monaco-Grand-Prix, als er ein Chaos meisterte und als Neunter für die technisch unterlegene Marussia-Mannschaft die ersten Punkte der Geschichte einfuhr.

Die Bianchis: Familiengeschichte voller Schicksalsschläge

Die Bianchi-Story besitzt ein weiteres tragisches Element: Auch wenn der Name für Formel-1-Fans nicht so klangvoll ist wie Andretti, Villeneuve oder Hill, steckt dahinter eine Rennfahrer-Dynastie. 1934 erblickte Jules' Großonkel Lucien das Licht der Welt, drei Jahre später wurde sein Großvater Mauro als Sohn eines Alfa-Romeo-Mechanikers geboren. Der eine gewann Le Mans und starb kurz darauf bei einem Sportwagen-Crash, der andere entkam bei einem Feuerunfall nur knapp dem Tod.

Die Königsklasse will aus dem Bianchi-Unfall ihre Lehren gezogen haben: Mehr Sicherheit bei in Streckennähe ablaufenden Bergungsarbeiten, die Einführung des Virtuellen Safety-Cars (VSC) und die beginnenden Tests von Cockpitkuppeln sind Antworten auf die Tragödie von Japan, die auch dank des Twitter-Hashtags #JB17, der nach wie vor auf vielen Boliden und Helmen zu lesen ist, weiter mitfährt.

Das Bianchi-Schicksal erhielt deshalb eine besondere Note, weil es mit dem Michael Schumachers verknüpft war. Um den Formel-1-Rekordchampion, der sich zu Hause in der Schweiz von den Folgen seines Ski-Unfalls in den französischen Alpen vor fast zwei Jahren erholt, ist es ruhig geworden. Die Reha nach seinem Schädel-Hirn-Trauma nimmt in den eigenen vier Wänden ohne Medienrummel vor behandelnden Kliniken ihren Lauf. Informationen über den Gesundheitszustand sind rar.

Normalität kehrt in das Leben der Schumacher-Familie zurück

Aufregung gab es um Schumacher nur im März, obwohl er mit der Sache gar nichts zu tun hatte: Bei seinem Vertrauensarzt Johannes Peil wurde eingebrochen und ein Laptop gestohlen, auf dem sich Unterlagen über den Gesundheitszustand des mehrmaligen Weltsportlers des Jahres hätten befinden können. Von offizieller heißt es bezüglich der Genesung, dass Schumacher "Fortschritte" mache.

Das Leben seiner Familie geht indes weiter. Ehefrau Corinna veranstaltet wieder Reitevents und lancierte eine erfolgreiche WM-Bewerbung, Tochter Gina hatte bei der Reit-EM in Aachen einen besonderen Showauftritt und Sohn Mick ist nach seinem Formel-4-Einstieg auf dem besten Wege, eine erfolgreiche Karriere als Rennfahrer einzuschlagen.

Dennoch schwebt über allem die Ungewissheit, welche Zukunft Schumacher erwartet. Welche Folgeschäden bleiben? Wird er jemals wieder in der Öffentlichkeit auftreten? Fragen über Fragen. Das Medieninteresse ist für die engsten Verwandten keine Hilfe: "Entspannt ist es nie, weil dies eine permanente Belastung darstellt", sagte Managerin Sabine Kehm dem 'Spiegel'.

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