Ex-Teamchef enthüllt: Die Methoden des Bernie Ecclestone

, 12.12.2016

Exklusiv: Wie Bernie Ecclestone die Teamchefs Ross Brawn und Adam Parr entmachtet hat, um sie für die Verhandlung der Millionendeals loszuwerden

Es gibt viele Mythen und Halbwahrheiten darüber, wie Bernie Ecclestone seine Macht als Impresario der Formel 1 in all den Jahren missbraucht haben soll. Viel davon wird erzählt, aber nur wenig ist belegt oder belegbar. Die Mythen gehen so weit, dass manche sogar glauben, Ecclestone sei einer der Drahtzieher des großen Postzugraubs von 1963 gewesen.

Dass es keine gute Idee ist, sich mit ihm anzulegen, darüber können viele Paddock-Personen Geschichten erzählen. Formel-1-Fahrer, deren Zugangspässe plötzlich nicht mehr funktionieren, seitdem sie sich in der Gewerkschaft engagieren, sind da noch eine harmlose Randnotiz. Herstellervertreter, deren Flug- und Hotelbuchungen aus unerfindlichen Gründen plötzlich gecancelt sind und die mehr oder weniger unauffällig von zwei groß gewachsenen Männern "begleitet" werden, sind das andere Extrem des Spektrums.

Eine Geschichte, die viel aussagt über Ecclestones Macht in der Formel 1, ist die von Adam Parr. Der gelernte Rechtsanwalt wurde im November 2006 Geschäftsführer des Williams-Teams, wurde im Juli 2010 zum Vorstandsvorsitzenden befördert und verließ den Traditionsrennstall im März 2012. Die Umstände seines Ausscheidens hat Parr in seinem 2012 erschienenen Manga-Buch "The Art of War - Five Years in Formula One" teilweise aufgearbeitet.

Winter 2011/12: Entscheidende Zeit in der Formel 1

In seinem neuen Buch "Total Competition: Lessons in strategy from Formula One" (erschienen 2016 bei Simon & Schuster) schreibt Parr auf Seite vier: "Im März 2012 trat ich als Vorsitzender von Williams zurück. Ich hatte einen fünfjährigen Kampf mit dem Mann, der den Sport kontrolliert, Bernie Ecclestone, verloren." Kurz und kompakt und ohne weitere Hintergründe. Grund genug für uns, direkt bei ihm nachzufragen und die Story im Detail aufzuarbeiten.

Im Dezember 2011 begann die Teamvereinigung FOTA, in ihre Einzelteile zu zerfallen. Ferrari und Red Bull stiegen aus und schwächten die Allianz, die ursprünglich dazu ins Leben gerufen wurde, eine aus Teamsicht faire Einnahmenverteilung in der Formel 1 zu verhandeln. Es gehörte zu Ecclestones altbekannter Strategie, einzelnen Teams besondere Konditionen anzubieten, um sie aus solchen Allianzen ausscheren zu lassen und mit allen anderen leichteres Spiel zu haben. Hast du Ferrari, hast du sie alle, lautet eine alte Formel-1-Binsenweisheit.

Anfang des Jahres 2012 mussten dann also nach und nach auch die anderen Teams damit anfangen, jene Concorde-Verträge mit Ecclestone auszuhandeln, die ihr Dasein in der Formel 1 bis 2020 absichern würden. Parr erinnert sich im Interview mit 'Motorsport-Total.com': "Ich traf mich im Januar 2012 in Begleitung von Frank Williams mit Bernie. Und ich sagte zu ihm: 'Bernie, was willst du vom neuen Concorde-Agreement?'"

Von Bernie gibt's nichts geschenkt...

"Er sagte: 'Ich will, dass alles genau gleich bleibt.' Ich antwortete: 'Weißt du was? Wir auch. Also was hältst du davon, Bernie, dass du uns den Vertrag schickst, einfach nur die Daten änderst und wir unterschreiben schon morgen?' Und er sagte: 'Oh, aber ich möchte euch doch ein bisschen Geld dafür geben, dass ihr unterschreibt.' Worauf ich meinte: 'Bernie, warum willst du uns für die Unterschrift bezahlen?' Denn Bernie gibt einem nie Geld für nichts."

Parrs Skepsis war nicht unbegründet: "Der Vertrag kam nie an." Also ließ er ein paar Wochen vergehen, ehe er sich bei Ecclestone danach erkundigte. Die Antwort des Formel-1-Impresarios war unbefriedigend: "Du weißt doch, wie Rechtsanwälte sind." Eine Begründung, mit der sich Williams nicht abspeisen ließ: "Bernie, wir wollen doch gar nichts anderes, es sollte alles ganz simpel sein." Aber: "Das war es natürlich nicht..."

Individuelle Verträge lösen Concorde-Agreement ab

Denn Ecclestone hatte keineswegs vor, die Dinge genauso weiterlaufen zu lassen wie bisher. Vielmehr installierte er anstatt eines gemeinsamen Concorde-Agreements, das von FOM, FIA und allen Teams unterschrieben wurde, lauter Individualverträge zwischen FOM und den Teams sowie zwischen FOM und FIA. So war Sondervergünstigungen für einzelne Teams und Benachteiligungen für andere mit einem Schlag Tür und Tor geöffnet.

Ecclestone legte im Winter 2011/12 den Grundstein für jene umstrittene Verteilungssituation, die heute von vielen kritisiert wird und mit der sich nach einem Vorstoß von Force India und Sauber sogar die EU-Wettbewerbskommission auseinandersetzt. Dazu gehört die in den Augen vieler Experten ungerechte Verteilung der "Bernie-Money" ebenso wie die Strategiegruppe, der nur sechs von elf Teams angehören.

"Bernie hatte in entscheidenden Bereichen seine ganz eigenen Vorstellungen", erinnert sich Parr an die Verhandlungen des Williams-Teams um einen neuen Concorde-Individualvertrag. "Ungefähr zu der Zeit wurde ihm auch bewusst, dass er für all diese Dinge niemals meine Zustimmung erhalten würde. Also ließ er meinem Vorstand ausrichten, dass es für Williams keinen neuen Vertrag geben würde, solange ich Teil des Teams bin."

Ecclestone fordert: Wolff soll statt Parr verhandeln

Bei Williams war seit November 2009 der österreichische Geschäftsmann Toto Wolff als Minderheitsteilhaber eingestiegen. Wolffs Verhältnis zu Ecclestone ist inzwischen, so behaupten Branchenkenner, stark abgekühlt; damals, im Frühjahr 2012, genoss er jedoch noch dessen vollstes Vertrauen. Parr: "Mein Vorstand sagte dann: 'Wir sollten Toto verhandeln lassen. Er ist die richtige Person dafür.'"

Damit war sein Abgang besiegelt. "Ich entschied mich dafür, das nicht zu akzeptieren. Ich war Vorsitzender des Unternehmens, ich hatte es für fünf Jahre geführt, während Toto nur ein kleiner Teilhaber war", erinnert sich der 51-jährige Brite. "Ich wusste genau: Wenn ich das akzeptiere, dann würde ich im Team keinerlei Autorität mehr besitzen und ich wäre effektiv handlungsunfähig." Also reichte er zähneknirschend sein Rücktrittsgesuch ein.

Mit Brawn das gleiche Spielchen abgezogen

Ironischerweise spielte Ecclestone das gleiche Spielchen nicht nur mit Parr, sondern auch mit dem damaligen Mercedes-Teamchef Ross Brawn. Ecclestone rief Daimler-Vorstandschef Dieter Zetsche an und erklärte diesem, er habe mit Brawn keine Gesprächsbasis. Stattdessen schlug er Niki Lauda als Vermittler vor. Der Rest ist Geschichte: Brawn wurde bei Mercedes entfernt, Lauda handelte den Concorde-Deal aus - und verdiente damit Millionen. Ecclestones Art, sich bei alten Freunden zu bedanken...

Was Ecclestone mutmaßlich nicht wusste, aber im Buch "Total Competition" erstmals enthüllt wird: Brawn genoss bei Mercedes teamintern weiterhin hohes Vertrauen. Zu Ostern 2012 fanden die Gipfelgespräche in London statt, zwischen Lauda und Daimler-Finanzvorstand Bodo Uebber einerseits und Ecclestone andererseits. Brawn saß währenddessen in seinem frisch eingerichteten Ferienhaus in Cornwall - und zog von dort aus die Fäden.

"Weder Niki noch Bodo hatten wirklich eine Ahnung davon, was sie tun sollten. Also gingen sie ständig aus dem Meeting raus, um mich anzurufen. Ich saß an meinem Schreibtisch in Cornwall und nahm alle 15 Minuten das Telefon ab, um ihnen zu erklären, was sie akzeptieren können und was nicht", erinnert sich Brawn. "Ich habe den Deal gemacht. In Wahrheit habe ich auch in Abwesenheit für das Team verhandelt."

35 Millionen Dollar für jede Saison bis 2020

Und zwar einen Deal, der letztendlich besser war, als sich irgendjemand bei Mercedes je erträumen hätte können. Denn als Bedingung für den Erhalt einer signifikanten Bonuszahlung definierte Ecclestone den Gewinn zweier aufeinanderfolgender Weltmeisterschaften bei gleichzeitigem Gewinn von 24 Grand-Prix-Rennen innerhalb von zwei Jahren ab 2009 - eine Bedingung, die Red Bull bereits erfüllt hatte und eigentlich für niemanden sonst konzipiert war.

"Wir handelten für uns die gleichen Bedingungen aus", berichtet Brawn in seinen Memoiren. "Bernie dachte in einer Million Jahren nicht daran, dass Mercedes das schaffen würde - aber sie haben es 2014 und 2015 geschafft und bekommen jetzt diesen Bonus jedes Jahr bis 2020." Dabei geht es um rund 35 Millionen US-Dollar pro Saison, die Mercedes aus dem FOM-Topf kassiert. Und wie wir jetzt wissen: Der Architekt des Deals war nicht Lauda, sondern Brawn.

Ross Brawn und Adam Parr haben das Buch "Total Competition: Lessons in strategy from Formula One" gemeinsam gestaltet. Im transkribierten Dialog der beiden geht es nicht nur etwa um die wichtigsten Karriere-Skandale von Michael Schumacher, sondern auch um die smarte Anwendung von chinesischer Militärstrategie in der Formel 1. Ein ausführliches Feature über "Total Competition" gibt's morgen bei 'Motorsport-Total.com' und 'Formel1.de' nachzulesen.

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