Pirelli auf Fehlersuche: Materialermüdung bei Sebastian Vettel?

, 26.08.2015

Noch immer gibt es keine offizielle Ursache für den Reifenschaden bei Sebastian Vettel: Während Materialermüdung ein Thema ist, stellen sich viele hinter Pirelli

Die Reifenaffäre von Spa-Francorchamps ist in den Tagen nach dem Großen Preis von Belgien das große Thema in der Formel 1. Die Gemüter sind nach der hitzigen Lage am Sonntagnachmittag wieder etwas abgekühlt, sodass es nun um die Aufarbeitung der Schäden gehen kann, die Nico Rosberg (Mercedes) am Freitag und Sebastian Vettel (Ferrari) am Sonntag in brenzlige Situationen gebracht haben.

Schon im Training gab es den ersten Schreckmoment, als Rosberg vor der schnellen Blanchimont-Kurve der Reifen platzte. Auf Aufnahmen war zu sehen, dass sich bereits eine halbe Runde zuvor ein Faden am rechten Hinterreifen löste. Eine intensive Untersuchung von Pirelli ergab, dass der Schaden extern verursacht wurde - durch was konnte allerdings nicht aufgeklärt werden. Mercedes riskierte im weiteren Verlauf des Wochenende nichts und ging beispielsweise mit den Sturzwerten noch weiter herunter als die Pirelli-Empfehlung vorgab.

Gleichzeitig warnte man die FIA und die anderen Teams vor möglichen Trümmerteilen und einer erhöhten Gefahr von Reifenschäden dadurch: "Die Bedrohung kam von den Trümmerteilen, und das haben wir mit den Fahrern am Morgen abgeklärt", betont Mercedes' Technikchef Paddy Lowe zu 'motorsport.com'. "Wir haben sogar mit der FIA darüber gesprochen, die Randsteine noch einmal extra zu säubern, wo Trümmerteile liegen könnten."

Die Suche nach dem Grund

Im Rennen von Spa-Francorchamps lief lange Zeit alles gut, bis Sebastian Vettel zwei Runden vor Schluss auf der Kemmel-Geraden der rechte Hinterreifen platzte - wie Rosberg konnte er das Auto allerdings abfangen. Wütend lederte der Heppenheimer danach über Reifenhersteller Pirelli ab: "Die Qualität der Reifen ist miserabel! Das kann nicht sein! Es geht jetzt schon Jahre so und ich weiß nicht, worauf wir warten."

Eine offizielle Erklärung für die Ursache gab es bislang nicht, doch es gibt einige Faktoren, die mit hineingespielt haben dürften. So ignorierte Ferrari die Empfehlung Pirellis, zwei oder drei Stopps durchzuführen. Die Scuderia ließ Vettel mit einem Stopp durchfahren und war bereits 28 Runden auf dem Medium-Pneu unterwegs - deutlich mehr als die Empfehlung von 22 Runden, aber weniger als die prognostizierten 40 möglichen Umläufe. Zudem fuhren die Piloten beispielsweise in Raidillon häufiger über die Randsteine.

Ein Fremdkörper wie bei Rosberg wird allerdings ausgeschlossen. Und zu hoher Verschleiß dürfte eher nicht in Frage kommen, weil Vettels Rundenzeiten bis zum Vorfall gut genug waren, auch Vergleiche mit dem problemfreien Vorjahr geben keinen Aufschluss. Pirellis Motorsportchef Paul Hembery hatte aber betont, dass Spa-Francorchamps "die aggressivste Strecke" des Jahres sei, und auf Zeitlupen waren immer wieder Verformungen, sogenannte stehende Wellen, der Pneus zu erkennen.

Ermüdungsbruch durch neue Konstruktion?

Womöglich hat der Reifen die Kräfte nicht mehr ausgehalten. Laut 'auto motor und sport' soll Materialermüdung ein Grund für den Schaden bei Vettel gewesen sein. Pirelli hatte über den Winter die Konstruktion der Hinterreifen verändert und dabei neben einer verstärkten Schulter auch die Lauffläche stabiler gemacht. Laut Experten kann das höhere Gewicht durch die hohen Zentrifugalkräfte zu größeren Belastungen an den Schultern führen - und schließlich zum Ermüdungsbruch.

Wäre das der Fall, dann hätte doch die lange Laufleistung bei Sebastian Vettel für das Problem gesorgt. Kritik gab es daher in den vergangenen Tagen auch an der riskanten Taktik von Ferrari. "Der Reifen war einfach am Ende, deshalb haben alle anderen zwei oder drei Stopps gemacht. Manchmal funktionieren diese Sachen und dann sind sie genial und alles ist fantastisch. In diesem Fall sind sie aber leider etwas zu weit gegangen", hatte auch Pirellis Paul Hembery bemängelt.

Mittlerweile stellen sich immer mehr Leute hinter den Reifenhersteller. Nico Rosberg hatte seine große Kritik gestern zurückgezogen, jetzt schlägt sich auch Ex-Teamchef Flavio Briatore auf die Seite der Reifenmacher: "Vor dem Rennen bekommt man einen Hinweis, wie viele Boxenstopps man machen sollte, und dann hält man sich an diesen Hinweis", sagt er zu 'La Repubblica'. "Reifen sind eine kritische Komponente, und wenn man zwei oder drei Stopps vorgegeben bekommt, dann macht man einen Stopp auf eigene Verantwortung."

Paul Hembery: "Wir sind immer die Dummen"

"Es kann klappen, aber wenn nicht, dann darf man nicht dem Hersteller die Schuld geben", so Briatore weiter. Zumindest hat der Streit für ihn etwas Gutes: "Wenigstens reden die Medien darüber. Wenn nicht, dann würde man zum 200. Mal sagen, dass Hamilton gewonnen hat." Auf so eine Publicity kann Pirelli aber gerne verzichten, zu häufig stand man in den vergangenen Monaten im Zentrum der Kritik.

Paul Hembery hat jedenfalls genug von den Schuldzuweisungen, wie er gegenüber 'Bild' sagt: "Die Ingenieure pushen die Autos an immer schmalere Limits - zu Lasten der Reifen. Einmal sind den Fahrern die Reifen zu hart, dann zu weich. Die FIA hängt dazwischen. Wir sind immer die Dummen", beschwert er sich. Denn der Reifenhersteller versucht nur umzusetzen, was von ihm verlangt wird - und das sind zwei oder drei Stopps, nicht einer.

Am übernächsten Wochenende wartet in Monza aber schon die nächste Feuerprobe auf Pirelli, denn der italienische Traditionskurs ist der schnellste des gesamten Kalenders. Auf die Schnelle dürfte sich nichts Grundlegendes an den Reifen verändern, von daher ist die FIA gewarnt. Sie will nun sogar mögliche Vorgaben von Pirelli bindend machen. Dann ist auch eine maximale Laufleistung der Reifen möglicherweise nicht mehr in den Händen der Teams.

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