Rennvorschau Sao Paulo: Grand Prix der vielen Fragezeichen

, 11.11.2015

Warum der Grand Prix von Brasilien für die Teams ein Schritt ins Ungewisse ist und die Mercedes-Piloten trotz entschiedener WM besonders siegeshungrig sind

"Zwei Rennen stehen noch aus - das sind zwei potenzielle Siege", meint Sebastian Vettel mit Blick auf den Grand Prix von Brasilien. Doch während der Kurs in Abu Dhabi dem Ferrari liegen könnte, gilt das Autodromo Carlos Pace, auf dem auch dieses Jahr der Grand Prix von Brasilien stattfindet, eher als Mercedes-Strecke.

Zumal beide Silberpfeil-Piloten bis in die Haarspitzen motiviert sind, in Interlagos zu gewinnen. Und das, obwohl das Titelduell entschieden ist und beide Titel in trockenen Tüchern sind. Während Nico Rosberg, der im Duell um WM-Platz zwei 21 Punkte Vorsprung auf Vettel hat, nach seinem Mexiko-Sieg Lunte gerochen hat und die Pannensaison 2015 mit Triumphen gegen seinen Teamkollegen aus dem Gedächtnis verdrängen will, möchte auch Lewis Hamilton dieses Mal unbedingt ganz oben stehen.

Der Grund: Der 30-Jährige hat den Grand Prix von Brasilien - und damit das Heimrennen seines großen Idols Ayrton Senna - noch nie gewonnen. Hamilton stellte zwar in Interlagos 2008 in einem Herzschlagfinale gegen Lokalmatador Felipe Massa seinen ersten WM-Titel sicher, im neunten Anlauf will er aber nun auch den Rennsieg. Senna benötigte für dieses Vorhaben übrigens ebenfalls lang: Er schaffte es aber schon im achten Versuch.

Mehr Platz für die Teams

Wenn die Piloten und Teams dieses Jahr in Interlagos eintreffen, dann werden sie veränderte Bedingungen vorfinden. Während die Strecke gleich geblieben ist, wurde das Fahrerlager umgebaut. "In der Vergangenheit war das für die Teams die Strecke mit den schlechtesten Arbeitsbedingungen", meinte Formel-1-Boss Bernie Ecclestone bei der Besichtigung vor einer Woche gegenüber 'O Estado de S.Paulo'. "Sie werden zufrieden sein, denn in der Vergangenheit hatten sie keinen Platz."

Der wahre Fortschritt ist aber für 2016 geplant: Bis dahin soll ein neues Boxengebäude entstehen, und auch das Fahrerlager soll drei Mal so viel Platz bieten wie bisher. Der ursprüngliche Plan, in Zukunft die Gegengerade als Start-Ziel-Gerade zu nutzen, wurde übrigens verworfen.

Unsicherheitsfaktor Wetter

Doch auch sonst wird von den Teams in Brasilien viel Flexibilität eingefordert. "Das Wetter kann in Sao Paulo ziemlich unberechenbar sein, was oftmals zu dramatischen und spektakulären Rennen führt", weiß der Technikverantwortliche von Mercedes, Paddy Lowe. Auch dieses Jahr sieht es übrigens nach einer Wetterlotterie aus: An allen drei Tagen besteht laut Prognose über 50 Prozent Regenwahrscheinlichkeit.

Und wenn es in Interlagos regnet, dann droht Chaos. "Trotz der Bemühungen der Organisatoren und wiederholter Neuasphaltierungen laufen Bäche über den Kurs, wenn es zu regnen beginnt", wirft McLaren-Geschäftsführer Jonathan Neale ein. "Und dann ist es sehr schwierig zu fahren."

Doch auch, wenn es trocken bleibt, könnte der Grand Prix zur großen Herausforderung werden. Schuld ist der im Vorjahr gelegte neue, äußerst raue Asphalt. "Die Reifen waren im Vorjahr am Limit", erinnert sich Mercedes-Mann Lowe. Pirelli bringt wie 2014 die Mischungen Soft und Medium nach Brasilien.

Unsicherheitsfaktor Asphalt

"Die Änderungen beim Asphalt haben das Verhaltensmuster der Reifen verändert", geht Pirelli-Motorsportchef Paul Hembery ins Detail. "Es wird interessant, wie das den Reifenverschleiß dieses Jahr beeinflussen wird." Die Situation ist schwer einzuschätzen, weil sich der im Vorjahr brandneue Belag dieses Jahr in einem anderen Zustand präsentierten wird.

2014 siegte Rosberg mit drei Boxenstopps. Pirelli rechnet auch 2015 mit "zwei oder drei Stopps bei den meisten Teilnehmern", was auch auf die schnellen Kurven zurückzuführen ist, die vor allem den rechten Hinterreifen belasten. Außerdem wurden im Vorjahr in Interlagos die höchsten Temperaturen der gesamten Saison gemessen - auch dieses Jahr soll die Quecksilbersäule über die 30-Grad-Marke klettern.

Und als würde das nicht schon für genügend Fragezeichen sorgen, liegt auch noch die Wahrscheinlichkeit einer Safety-Car-Phase bei 70 Prozent, und die Strecke bietet gute Überholmöglichkeiten. Die DRS-Zonen befinden sich auf der Start-Ziel-Geraden und der Gegengeraden mit zwei separaten Messpunkten.

Red Bull: Rückversetzungen drohen

Wenn es um Überholmanöver geht, dann ist vor allem Williams stets gut aufgestellt: Der FW37 von Lokalmatador Felipe Massa verfügt über einen geringen Luftwiderstand und den bärenstarken Mercedes-Antrieb, weshalb man die Truppe aus Grove auf der Rechnung haben sollte. "Brasilien sollte für unsere Autos ein guter Kurs sein", bestätigt Chefingenieur Rob Smedley. "Das Power-Layout für wenig Luftwiderstand sollte zu unserem Vorteil sein. Der schwierige Teil wird darin bestehen, das Auto in Sektor zwei zum Arbeiten zu bekommen."

Nicht besonders gut sieht es hingegen für Red Bull aus: Die ehemalige Weltmeistertruppe muss wie in Austin, wo man in der Anfangsphase glänzte, auf ein Chaosrennen hoffen. Das liegt erstens daran, dass das Abtriebswunder RB11 bei Regen besonders gut liegt, zweitens wird zumindest Daniel Ricciardo mit einer Gridstrafe ins Rennen gehen, weil bei ihm die neue Renault-Antriebsausbaustufe eingebaut wird. Am Samstag soll dann die Entscheidung fallen, ob auch Daniil Kwjat die neue Antriebseinheit erhält.

Generell wird es Red Bull in Brasilien aller Voraussicht nach erneut schwer haben, denn die Vollgaspassage zwischen den Kurven zwölf und eins wird die Schwächen des Renault-Antriebs aufzeigen.

Force India und Hülkenberg wollen Platz fünf absichern

Zum Glück für Red Bull liegt man aber in der Konstrukteurs-WM 60 Punkte vor Force India, weshalb man sich um Platz vier keine Sorgen mehr machen muss. "Red Bull ist zu weit weg", weiß Nico Hülkenberg, der 2013 in Brasilien beinahe die Sensation geschafft und gewonnen hätte. Der Emmericher orientiert sich eher nach hinten: Lotus liegt 41 Zähler zurück. "Es wäre toll, bei beiden ausstehenden Rennen mit beiden Autos in die Punkte zu fahren und mit Platz fünf in die Winterpause zu gehen", gibt er die Marschroute für sein Team vor. Die Truppe aus Enstone muss sich währenddessen gegen Toro Rosso wehren: Das kleine Red-Bull-Team liegt nur sechs Punkte hinter Lotus.

Nicht wirklich zuversichtlich ist man währenddessen bei Sauber. Das liegt an den vielen Bodenwellen in Interlagos, die auch durch die Neuasphaltierung nicht wirklich verschwunden sind. "Abu Dhabi sollte unserem Auto besser liegen", meint Teamchefin Monisha Kaltenborn. "In Brasilien ist der Asphalt welliger, und wir hatten damit in der Vergangenheit bereits Probleme."

Bei McLaren fürchtet man sich währenddessen eher vor der langen Geraden, die für den Honda-Motor Gift ist. Bereits in Mexiko-City, wo es ebenfalls eine lange Vollgas-Passage gibt, kam die Startruppe unter die Räder und blieb punktelos. "Wir wussten ja, dass es dort hart werden würde", meint Fernando Alonso - und blickt mit finsterer Miene nach Brasilien: "Viele Eigenschaften der Strecke in Interlagos sind leider ähnlich."

Zumindest sieht es bei Alonso, der in Interlagos noch nie gewonnen hat, und Jenson Button in Brasilien nach keiner Gridstrafe aus. McLaren baute bei Button schon in Mexiko Komponenten für Sao Paulo ein, damit man sich eine Rückversetzung spart.

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