Schnellere Autos für 2017: Kritik mehrt sich

, 27.11.2015

Lewis Hamilton und weitere Experten sehen in den Änderungen für 2017 den falschen Weg: Verschlimmern schnellere Autos das Grundproblem der Formel 1?

Kritik muss sich die Formel 1 mehr als genug anhören: Die Autos sind zu leise, zu langweilig, die Reifen sind viel zu anfällig, Überholen ist nur dank des künstlichen DRS möglich. Der Hybrid soll für Fortschritt stehen, doch die LMP1-Kategorie ist technologisch noch weiter. Die Formel 1 soll daher schneller werden, mit breiteren und lauteren Autos. Dafür soll der aerodynamische Grip erhöht werden. Die Fahrer sind schockiert, denn genau das würde alles nur noch schlimmer machen.

Die Strategy Group hat am Dienstag die Rahmenbedingungen festgelegt: Diffusor und Frontflügel sollen mächtiger ausfallen, um den Autos ein spektakuläreres Aussehen zu verleihen. Experten schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, denn genau das wird das Problem, das die Formel 1 seit mittlerweile über 20 Jahren verfolgt, nur noch verschlimmern: Das Phänomen der verwirbelten Luft, genannt "Dirty Air".

"Für mich zeigt das nur, dass sie nicht wissen, was sie eigentlich lösen wollen", flucht Weltmeister Lewis Hamilton, der beim Großen Preis von Brasilien das ganze Rennen hinter Nico Rosberg festhing und nicht überholen konnte. "Aktuell gilt, wer auch immer in Führung liegt, hat 100 Prozent Aerodynamik, während derjenige, der aufholt, es immer schwieriger hat, je näher er ans vorausfahrende Fahrzeug herankommt. Deshalb verschwindet der Vorteil immer mehr, je dichter er dran ist. Das sollte nicht der Fall sein."

Revolution von 2009 ohne Wirkung

Hamilton verweist auf den Kartsport, wo es möglich ist, an einen Gegner heranzufahren und ihn direkt zu überholen. "Wir Fahrer wollen mehr Grip von den Reifen und weniger Aerodynamik, um dichter an den Vordermann heranzukommen", erklärt er. "Wir brauchen mehr Grip von den Reifen und im aerodynamischen Bereich." Zwar sollen die Pirelli-Reifen im Zuge der neuen Regeln ebenfalls breiter werden, doch der Gripzuwachs ist prozentual gesehen geringer als der Gewinn an aerodynamischem Grip.

Die Aerodynamik der Formel-1-Boliden wurde zur Saison 2009 radikal verändert: Mit einem schmaleren Heckflügel und dem viel breiteren, dazu verstellbaren Frontflügel sollte die Überholproblematik ein für alle Mal aus dem Weg geräumt werden. Doch es sollte nicht dazu kommen: Der verstellbare Frontflügel verschwand nach zwei Jahren und wurde durch DRS ersetzt, konventionelle Überholmanöver blieben selten. Auch die Tilke-Medizin "Spitzkehre - lange Gerade - Spitzkehre" wirkt nur bedingt.

Lieber langsam und spektakulär als schnell und langweilig?

'Sky'-Experte Martin Brundle findet, dass die Fahrer bei den Fragen nach den Regeländerungen für 2017 zu sehr übergangen worden sind: "Das große Problem ist: Wir haben Ingenieure, die versuchen, Lösungen zu finden, ohne auf die Fahrer zu hören. Die aber wissen, wie es sich anfühlt. Lewis hat das erklärt. Dem gibt es nichts hinzuzufügen." Er schließt sich Hamiltons Idee an, die Aerodynamik noch weiter zu beschneiden und mehr mechanischen Grip zu generieren.

Stattdessen aber wurde nun mehr Abtrieb beschlossen, um die Autos schneller zu machen. "Das Problem ist halt auch, dass die Formel 1 das absolut Schnellste sein muss", weiß Brundle. "Und wir haben bereits jetzt GP2-Autos, die gefährlich dicht herankommen. Um schneller zu werden, brauchen wir Abtrieb und Grip. Aber dieser Abtrieb ist genau das, was es den hinterherfahrenden Fahrzeugen so schwer macht. Bei mehr Aerodynamik haben wir kürzere Bremszonen, weil die Autos schneller durch die Kurve kommen und wir sehen weniger Fahrfehler, weil die Autos wie auf Schienen fahren."

Seine Idealvorstellung: Die Boliden müssen nicht unbedingt übertrieben schnell sein, aber mehr sichtbare Fahrdynamik für den Zuschauer liefern. "Rossi fährt auf seiner MotoGP-Maschine in Silverstone oder Barcelona eine halbe Minute langsamer. Aber sieht er so viel langsamer aus? Nein." Stattdessen wirkt es sogar spektakulärer, weil das Motorrad tanzt und die Fahrdynamik und die wirkenden Kräfte für jeden Zuschauer sofort auf nachvollziehbare Weise sichtbar werden. "Man kann nicht sehen, ob ein Fahrer zwei Zehntel schneller oder langsamer durch eine Kurve fährt, aber man kann sehen, wie er rutscht", fügt er hinzu.

Fehlt Fahrern das Gladiatoren-Image?

Ein Beispiel für ein langsames, aber packendes Rennen sind für Brundle die Mischverhältnisse in Austin: "Wir lieben doch alle solche Rennen, wie die Fahrer mit ihren Autos gekämpft haben." Auf abgefahrenen Intermediates rutschten die Fahrzeuge - zwar deutlich langsamer als auf Slicks, aber spektakulär - oftmals durch die Gegend, was für viel Rennaction sorgte. "Wir müssen wieder dahin zurückkommen, dass die Fahrer wie Gladiatoren aussehen", schlussfolgert der 56-Jährige. "Und mehr Abtrieb ist der absolut falsche Weg dafür."

Sein 'Sky'-Kollege Johnny Herbert plädiert ebenfalls genau für das Gegenteil von dem, was jetzt beschlossen worden ist: "Den Frontflügel zu verkleinern ist das, was für uns am meisten Sinn macht, weil dieser Teil des Fahrzeugs der empfindlichste ist. Diese Flügel sehen toll aus - wie Kunstwerke - aber sie sind zu kompliziert und sensitiv." Er fährt mit einer radikalen Lösung auf: " Vielleicht sollte man Front- und Heckflügel standardisieren, um den Unterhaltungsfaktor zu steigern. Das ist genau, was Lewis und der Rest der Fahrer wollen."

Damit greift Herbert eines der fundamentalen Prinzipien der Formel 1 an, in der Einheitsteile bislang verpönt sind, obschon bereits bei Reifen und Elektronik Einheitslösungen eingeführt wurden. Mit Einheitsteilen könnten jedoch die Luftverwirbelungen hinter dem Auto kontrolliert werden. Aktuell ist die zentrale Platte am Frontflügel ein genormter Bereich, in dem kein aerodynamischer Grip gewonnen werden darf.

Zu Beginn der Saison 2014, als die Hybridregeln eingeführt wurden und der aerodynamische Grip nachgelassen hat, war für kurze Zeit eine Reihe von Querstehern zu beobachten, weil die Fahrzeuge aufgrund des Benzinlimits auf weniger Luftwiederstand getrimmt werden mussten. Diese werden jedoch immer weniger, da die Teams aerodynamischen Grip zurückgewinnen. Und nicht zu vergessen: Derzeit scheitern spektakuläre Drifts an den Pirelli-Reifen, die genau solche Fahrmanöver bestrafen.

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