V8-Power hautnah: So fährt sich das DTM-Meisterauto

, 12.12.2017

Letzte Ausfahrt Sonneninsel: 'Motorsport-Total.com'-Redakteur Roman Wittemeier dreht auf Mallorca die letzten Runden im Audi RS5 DTM des Champions Rene Rast

Liebe Freunde des Heckantriebs,

Weihnachten war für mich in diesem Jahr bereits Ende November! Am letzten Dienstag des Monats gab es ein Geschenk der ganz besonderen Art: Eine Fahrt im Audi RS5 DTM mit der Startnummer 33 - ja, tatsächlich im originalen Meisterauto von Rene Rast. Erst Vier Ringe, dann drei Kreuze und abschließend mindestens zwei Stunden Dauergrinsen im Gesicht. Unglaublich: Mir war es gestattet, das erfolgreiche DTM-Auto über seine allerletzten Meter auf einer Rennstrecke zu bewegen. Nun kommt es ins Museum. Aber der Reihe nach.

An einem in Deutschland kühlen Novembertag geht es für mich am frühen Morgen auf die beliebteste Urlaubsinsel der Deutschen. Mein Ballermann heißt Circuito de Mallorca, statt Sangria aus dem Eimer gibt es Aral Ultimate in den Tank. Während sich Familie Kowalski im Fiat Panda auf den Weg zur Platja de Palma macht, nennt sich mein "Mietwagen" Audi RS5 DTM: Über 500 PS, kein ABS, keine Traktionskontrolle und herrlicher Sound eines Vierliter-V8-Motors. Die Vorfreude ist riesig!

Mallorca, die Sonneninsel - es regnet! Ausgerechnet wenige Minuten vor meiner Ankunft an der Strecke in Llucmajor (rund 15 Minuten vom Flughafen Palma entfernt) flutet ein Wolkenbruch den engen Kurs. Überall stehen tiefe Pfützen. Die Wolkendecke bricht sofort wieder auf, die Sonne strahlt. Die silbernen Seitenwände der beiden Trucks des Teams Rosberg glitzern im Licht - großartig! Weniger schön ist der Zustand der Strecke. Wie soll ich ahnungsloser Rookie hier sicher ein 500-PS-DTM-Auto bewegen?

Allerletzte Runden auf einer Rennstrecke

Der Druck steigt weiter. "Das wird übrigens das letzte Mal sein, dass meine 'Joyce' auf einer Strecke fährt. Dann geht es ins Museum. Sei also bitte, bitte vorsichtig", ermahnt mich Rene Rast. Der DTM-Champion des Jahres 2017 hat Angst um seinen Schatz auf vier Rädern. Verständlich, denn mit wohl keinem anderen Rennauto verbindet der Meister derart viele positive Erinnerungen wie mit dem Audi RS5 DTM mit der Startnummer 33. Rene Rast springt kurzerhand ins Auto, um mir die Linie etwas trocken zu fahren.

Für diese Runden auf der ohnehin immer rutschigen 3,2 Kilometer langen Bahn darf Rast allerdings nicht selbst in sein DTM-Auto steigen. Das Reglement der Serie setzt strenge Grenzen bezüglich Tests, die natürlich auch in der Winterzeit ihre Gültigkeit behalten. Der gebürtige Mindener bekommt von Streckenchef Helmut Gay einen Radical bereitgestellt. Mit äußerster Vorsicht fährt Rast viele Runden. Trotzdem immer wieder Drifts, ständig durchdrehende Räder an der Antriebsachse.

Als ich fertig bin mit dem Anlegen von feuerfester Unterwäsche, Balaclava, Handschuhen, Overall, Schuhen und Helm samt HANS folgt die erste große Herausforderung. Wie soll ich da denn rein kommen? "Hintern auf den Rahmen, rechtes Bein in den Fußraum, dann Kopf ins Auto, Körper und linkes Bein hinterher", sagt der DTM-Champion und schubst mich leicht in Richtung Rennsitz. Das HANS verhakt sich kurz am Dach, dann endlich sitze ich im Auto.

"Ich sehe gar nichts, überhaupt nichts", sage ich zu den Technikern, die bereits mit zusätzlichen Schaumkissen neben der ausgehängten Fahrertür warten. Ein Polster in den Rücken, eines unter den Po - immerhin kann ich jetzt erahnen, wo die Audi-Ringe an der Front den Fahrtwind spüren. Vor mir das Lenkrad mit zahlreichen Knöpfen vorn und drei Wippenschaltern hinten. Im Display gefühlt Millionen von Zahlen, ein LED-Lichtermeer wie am Weihnachtsbaum auf dem Rockefeller Center Plaza.

Einweisung: Dosierte Informationen für sichere Fahrt

"Ich erkläre dir nur die Grundlagen", sagt Rene Rast und grinst: "Wenn ich einen Neuwagen bekomme und mir der Verkäufer alles im Cockpit erklärt, habe ich auch schon an der nächsten Tanke vergessen, wie man den Tageskilometer-Zähler zurücksetzt." Also: Hauptschalter in Mittelkonsole einschalten, Zündung auf "on', bei durchgetretener Kupplung den roten Starterknopf auf dem Lenkrad drücken. "Schaltwippen links und rechts sind klar, die große Wippe für die Betätigung des DRS brauchen wir heute nicht", so der Mindener.

Auf dem Dashboard in der Mitte sind Temperaturen von Reifen, Bremsen und Co. dargestellt, die Rundenzeit zählt dort unerlässlich hoch, Ganganzeige und Drehzahlbereiche fallen sofort ins Auge und rechts und links gibt es senkrecht angeordnete blaue LEDs, die bei der Fahrt auf nasser Piste ganz besonders wichtig sind - denn sie zeigen an, wann und in welcher Intensität die Räder an der Front beim Bremsen blockieren. Diese blauen Blinkies sehe ich an diesem Tag noch mehr als mir lieb ist.

Mein Blick geht nach oben. Oberhalb der Frontscheibe blinken weitere Lichter. "Das ist das Display, das mir im finalen Rennen vor den Augen herumgebaumelt ist. Die Jungs haben es wieder festgemacht", lacht Rene Rast und erinnert sich mit einem Kopfschütteln an seinen ganz besonderen Kampf mit der Technik. "Eines musst du noch wissen", sagt er. "Es hat noch keiner geschafft, das Auto beim Anfahren abzuwürgen. Der Pedalweg ist lang, du kannst das Ding ohne Gas anrollen lassen." Na vielen Dank! Der Druck, alles richtig zu machen, steigt weiter.

Anfahren in der Boxengasse: Bloß nicht abwürgen!

Die Mechaniker hängen die Türen ein, ich höre wie die Räder per Schlagschrauber an das Auto montiert werden. Plötzlich ein Ruck nach unten, der RS5 DTM ist von den pneumatischen Stempeln geplumpst. Ich werde aus der Garage geschoben, der Einsatzingenieur signalisiert mir, dass ich den Motor starten soll. Hauptschalter: check, Zündung: check - Druck auf den Starterknopf. Nach rund einer Sekunde brüllt mich der V8 zusammen, die Vibrationen sind so stark wie an der Bassbox in der Mallorca-Kultdisko "Mega Park".

Vor mir rollt ein weißer Seat Leon Kombi mit offener Heckklappe in Richtung Boxenausfahrt. Ich soll hinterher, damit aus dem Kofferraum schöne Fotos geschossen werden können. "Zwei Runden hinter dem Kameraauto, dann fährst du eine Runde mal vorsichtig allein und kommst wieder zur Box", so die Ansage. Ich lege den ersten Gang ein, lasse die Kupplung langsam kommen. Tatsächlich: Der Audi RS5 DTM zuckelt ohne Probleme los. Peinlichkeit des Abwürgens abgewendet!

Hinter dem Führungsfahrzeug geht es auf der kurvigen Piste bis maximal in den dritten Gang, das gesamte Drehzahlband kann ich nicht einmal ansatzweise nutzen. Das Gefühl auf den ersten Metern? Ich sehe nichts, spüre aber unwahrscheinlich viel. Wie geil ist das denn? Gerade hat sich mein Grinsen bis in die schmerzhaften Wangenbereiche ausgebreitet, da biegt der Seat schon in die Box ab. Ich bin allein auf der Strecke. Das DTM-Meisterauto und ich. Mit zärtlichem Gasfuß trage ich "Joyce" wie ein Baby im Tragetuch um die Strecke.

In der engen Rechtskurve (Turn 4) melden sich erstmals die blauen LEDs seitlich am Dashboard. Die Räder blockieren. "Ach du Schei...", denke ich. Das Auto lenkt trotzdem ein wie ein Einkaufwagen am Gemüseregal. Vorsichtig aufs Gas in Kurve 5, vor mir liegt die sechste Ecke - ein Rechtsbogen, der locker im vierten Gang gehen müsste. Aber es ist nass, so unglaublich rutschig. Auf der anschließenden Geraden geht es voran. Vollgas, der V8 schiebt wie die Hölle. Vor der folgenden Spitzkehre bremse ich früh an, gehe vom vierten wieder runter in den zweiten Gang.

Nasse Strecke: Der rechte Fuß muss zart agieren

Auch wenn das blaue Blinken schon wieder stehende Vorderräder singalisiert: Die Vorderachse des DTM-Autos ist eine Wucht. Komplett berechenbar, super stabil. Aber die schwierigsten Passagen kommen erst noch. Die beiden 180-Grad-Kurven mit den Nummern 10 und 11. Dort steht noch viel Wasser, null Grip beim Herausbeschleunigen. Ich trage das Auto vorsichtig um die Ecken, werde aber schon jetzt mutiger. Ausgangs Kurve 12 ist es soweit: Ein Tritt aufs Gas, ein Heck mit Spaß. Wild bewegt sich der Hinterwagen in Richtung Mauer auf der rechten Seite, schnelles Gegenlenken. Puh, ich habe ihn. Vorsichtig zurück zur Box.

Beim Einfahren in die Boxengasse bietet sich mir ein Bild wie im Freien Training auf einer DTM-Piste. In der Ferne winkt ein Mechaniker, um mir meinen Garagenplatz anzuzeigen. Moment mal, wie komme ich doch gleich in Neutral? Meine Augen suchen das Lenkrad ab. Ah, da ist der grüne Knopf ja. Ich trete die Kupplung voll durch, drücke auf den Button und stelle fest: Jetzt habe ich den linken Fuß ja gar nicht zum Bremsen! Irgendwie schaffe ich es, direkt an der Garage mit dem rechten Fuß den Anker zu werfen.

Das Team schiebt mich mit dem Auto rückwärts in die Garage. Sofort werden die Räder demontiert. Neben mir taucht Rene Rast auf. "Sah doch gar nicht schlecht aus", so der DTM-Champion. "Wir heizen die Reifen jetzt nochmal auf 60 Grad hoch, dann kannst du frei fahren. Noch Fragen?" In mir arbeiten die Eindrücke der ersten Ausfahrt. Was soll ich denn für Fragen haben? Nein, diesen Kampf gegen Instinkte und Bedingungen muss ich jetzt allein bestehen. Nach einigen Minuten stehe ich wieder auf den Walzen. Weiter gehts! Yeah!

Blaue Lichter: Wenn die Vorderräder stehen bleiben

Beim Anfahren habe ich nun schon Sicherheit - alles easy. Auf der Strecke verlässt mich aber - ganz ehrlich - der Mut, mal etwas mehr zu probieren. Hier und dort gehe ich mal früher ans Gas, aber der V8 bringt die Räder sogar im dritten Gang noch zum Durchdrehen. Das Heck schwänzelt oftmals leicht. Vor Turn 7 bremse ich etwas später. Aber das war es auch schon. Die bereits bekannten blauen LEDs zeigen mir immer wieder, wann Schluss sein sollte.

Nach drei Runden bin ich in einem Rhythmus, aus dem ich nicht mehr herauskomme. Bei diesem Tempo halte ich als DTM-Newbie den Audi RS5 für beherrschbar. Bloß nichts kaputtmachen, spukt es mir immer wieder durch den Kopf. Ich genieße den gewaltigen Schub, das saubere Einlenken - und vergesse im Verlauf der Kilometer komplett Zeit und Raum. Erst eine schwarz-weiß karierte Flagge holt mich nach einigen Umläufen aus meinem DTM-Traum. Grinsend und kopfschüttelnd bringe ich "Joyce" nach Hause.

"Ich bin gefahren wie meine Oma, oder?", frage ich Rene Rast nach der Ankunft in der Garage. "Deine Oma fährt DTM?", scherzt der Champion zurück. Der Spagat zwischen DTM-Genuss und Verantwortung während der letzten Fahrt des Autos ist mir gelungen. Wenn etwas schiefgegangen wäre, dann müsste ich fortan wohl mein Geld als Hütchenspieler an der Platja de Palma verdienen. Gott sei Dank, dieses Schicksal bleibt mir wohl vorerst erspart.

Ein unvergessliches Erlebnis hat sich an diesem Dienstag für immer in mein Hirn gebrannt. Ein solches Auto am Limit zu bewegen erfordert Mut, Können und unglaubliches Vertrauen in das Verhalten des Fahrzeuges. Dann im harten Wettbewerb gegen 17 andere Fahrer den entscheidenden Vorteil zu finden, ist für mich unvorstellbar. Respekt, Rene Rast! Und vielen Dank an Audi Sport für einen der intensivsten Einblicke in die Rennsportszene!

Viele Grüße,


Roman Wittemeier

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